Valproat – Neue Anwendungseinschränkungen; Einführung eines Schwangerschaftsverhütungsprogramms

Wiederholt haben wir an dieser Stelle (vgl. News vom 13.04.2015) und zuletzt in der aktuellen 12. Auflage des Kompendiums der Psychiatrischen Pharmakotherapie dringend davor gewarnt, Valproat bei Frauen im gebärfähigen Alter anzuwenden. Bereits im Juli 2017 titelte ‚The Lancet‘ in dem Beitrag von B. Casassus „France bans sodium valproate use in case of pregnancy“ (Lancet, 2017 Jul 15;390(10091):217), dass in Frankreich per Erlass der nationalen Arzneimittelbehörde ANSM ab Juli der Einsatz von Valproat bei Mädchen und Frauen im gebärfähigen Alter ohne effektive Kontrazeption bei der Behandlung bipolarer Störungen kontraindiziert sei. Erste Hinweise auf die ausgeprägte Teratogenität von Valproat beim Menschen gab es schon 1982, als Robert & Guibaud in ‚The Lancet‘ über die Assoziation einer intrauterinen Valproat-Exposition und dem gehäuften Auftreten von Neuralrohrdefekten berichteten.

Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte, BfArM, hatte zudem mit Bescheid vom 10. April 2017 für Valproat enthaltende Arzneimittel die Einführung einer Patientenkarte sowie eines Leitfadens für medizinische Fachkräfte als ergänzende Risikominimierungsmaßnahme verfügt; hierzu wurde von den beteiligten pharmazeutischen Unternehmen zudem ein Informationsbrief verfasst. Durch die Patientenkarte als Bestandteil jeder Packung sollte sichergestellt werden, dass regelmäßig und unmittelbar im Zusammenhang mit der Einnahme des Arzneimittels über die mit einer Valproatexposition im Mutterleib einhergehenden Risiken informiert wird. Grundsätzlich gilt, dass bei Kindern, die im Mutterleib Valproat ausgesetzt waren, ein hohes Risiko für schwerwiegende Entwicklungsstörungen (in bis zu 30–40 % der Fälle) und angeborene Missbildungen (in ungefähr 10 % der Fälle) besteht.

Kurz nach Erscheinen des Kompendiums in seiner aktuellen 12. Auflage wurde am 09.11.2018 nunmehr vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) ein weiterer Rote-Hand-Brief veröffentlicht, der verstärkte Sicherheitswarnungen in Bezug auf alldiejenigen Arzneimittel aussprach, die Valproat enthalten. Konkret geht es hierbei um das Risiko für Anomalien des Neugeborenen, falls Valproat in der Schwangerschaft eingesetzt werden sollte. Neuerdings muss bei Frauen im gebärfähigen Alter, die zurzeit Valproat anwenden, die Behandlung gegebenenfalls erneut beurteilt werden, um zu entscheiden, ob die Bedingungen des neu eingeführten Schwangerschaftsverhütungsprogramms eingehalten werden.
Zusammengefasst adressiert der Rote-Hand Brief folgende, klinisch wichtige Punkte, wobei neuerdings krankheitsspezifische Gegenanzeigen bei der Behandlung bipolarer Störungen und Epilepsien gelten:
 Bei Bipolaren Störungen

 ist Valproat während der Schwangerschaft kontraindiziert.
 ist Valproat bei Frauen im gebärfähigen Alter kontraindiziert, es sei denn, die Bedingungen des Schwangerschaftsverhütungsprogramms werden eingehalten.

 Bei Epilepsie

 ist Valproat während der Schwangerschaft kontraindiziert, es sei denn, es stehen keine geeigneten alternativen Behandlungen zur Verfügung.
 ist Valproat bei Frauen im gebärfähigen Alter kontraindiziert, es sei denn, die Bedingungen des Schwangerschaftsverhütungsprogramms werden eingehalten

Kernbotschaften des Schwangerschaftsverhütungsprogramms:

Der verordnende Arzt muss sicherstellen
 dass die jeweils individuellen Umstände der Patientin berücksichtigt werden, wobei sie in diesen Prozess mit einzubinden ist, um ihre Mitwirkung sicherzustellen, und dass Therapieoptionen besprochen werden und gewährleistet ist, dass sie sich der Risiken bewusst ist und die Maßnahmen verstanden hat, die zur Minimierung der Risiken erforderlich sind.
 dass alle Patientinnen hinsichtlich ihrer Gebärfähigkeit eingeschätzt werden.
 dass die Patientin die Risiken hinsichtlich angeborener Missbildungen und neurologischer Entwicklungsstörungen verstanden und bestätigt hat, einschließlich des Ausmaßes dieser Risiken für Kinder, die im Mutterleib Valproat ausgesetzt sind.
 dass die Patientin die Notwendigkeit versteht, sich vor Beginn und (soweit erforderlich) während der Behandlung Schwangerschaftstests zu unterziehen.
 dass die Patientin bezüglich Empfängnisverhütung beraten wird und dass die Patientin in der Lage ist, während der gesamten Dauer der Behandlung mit Valproat ununterbrochen zuverlässige Verhütungsmethoden anzuwenden.
 dass die Patientin die Notwendigkeit einer regelmäßigen (mindestens jährlichen) Überprüfung der Behandlung versteht, die von einem in der Behandlung von Epilepsie oder bipolaren Störungen erfahrenen Spezialisten durchzuführen ist.
 dass die Patientin die Notwendigkeit versteht, ihren Arzt aufzusuchen, sobald sie eine Schwangerschaft plant, um eine rechtzeitige Diskussion und Umstellung auf alternative Behandlungsoptionen, noch vor der Empfängnis und vor Beendigung der Empfängnisverhütung, sicherzustellen.
 dass die Patientin die Notwendigkeit versteht, im Falle einer Schwangerschaft unverzüglich ihren Arzt aufzusuchen.
 dass die Patientin den Leitfaden für Patienten erhalten hat.
 dass die Patientin bestätigt, dass sie die Gefahren und erforderlichen Vorsichtsmaßnahmen im Zusammenhang mit der Anwendung von Valproat verstanden hat (jährlich auszufüllendes Formular zur Bestätigung der Risikoaufklärung).

Diese Bedingungen treffen auch auf Frauen zu, die zurzeit nicht sexuell aktiv sind, es sei denn, dem verordnenden Arzt liegen triftige Gründe vor, die eine mögliche Schwangerschaft ausschließen.

Zur Verminderung unerwünschter Arzneimittelwirkungen steht mittlerweile ein umfassendes Schulungsmaterial zur Verfügung. Hierzu zählen eine Patientenkarte, ein Leitfaden für Patienten, ein jährlich auszufüllendes Formular zur Bestätigung der Risikoaufklärung sowie ein Leitfaden für verordnende Ärzte, Apotheker und anderes medizinisches Fachpersonal, das an der Betreuung von Frauen im gebärfähigen Alter, die Valproat anwenden, beteiligt ist.
Gleichzeitig weist das BfArM darauf hin, Verdachtsfälle unerwünschter Arzneimittelwirkungen an die Abteilung für Pharmakovigilanz zu melden.

Fazit:

Der neuerliche Rote-Hand-Brief fordert besondere Vorsicht im Umgang mit Valproat und schränkt den Einsatz weiter ein. Die bisherige Indikation der Behandlung von manischen Episoden bei bipolaren Störungen bei einer Lithium-Kontraindikation oder einer Lithium-Unverträglichkeit sollte nun bei Frauen auf die Zeit außerhalb des gebärfähigen Alters beschränkt bleiben.

Michael Paulzen, Aachen [m.paulzen@alexianer.de]
Otto Benkert, Mainz [otto.benkert@t-online.de]

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