Benzodiazepine – Zunahme ambulanter Verordnung und assoziierter Todesfälle in den USA

Eine aktuelle Arbeit aus JAMA Network Open beschäftigt sich mit der ambulanten Verordnungshäufigkeit (nicht der – menge!) von Benzodiazepinen in den Vereinigten Staaten von Amerika [1]. Dabei wird auch nach den Indikationen und der verordnenden Ärztegruppen stratifiziert. Grundlage sind die Jahre 2003 bis 2015, fast 390.000 ambulante Visiten wurden bezüglich der Verordnung dichotom (Benzodiazepine ja/nein) in einem cross-sektionalen Design im Rahmen des National Ambulatory Medical Care Survey (NAMCS) evaluiert. Es handelt sich dabei um eine freiwillige Datenerhebung an einer repräsentativen Stichprobe aller niedergelassenen Ärzte in den USA.
Anlass zu dieser Untersuchung gab die Zunahme an tödlichen Benzodiazepin-Überdosierungen in den USA, die im Zusammenhang mit der gleichzeitigen Verordnung von anderen sedierenden Substanzen steht [2], [3].
Die erhobenen Daten erlauben auch eine Differenzierung in Neu- und Weiterverordnungen.

Folgende Ergebnisse fanden sich im Verlauf des Beobachtungszeitraums:
- Eine Verdoppelung (von 3.8% auf 7.4%) der Visiten, an denen Benzodiazepine verordnet wurden
- Ein vierfacher Anstieg der gleichzeitigen Verordnung von Benzodiazepinen und Opiaten, eine Verdoppelung bei gleichzeitiger Gabe sedierender Medikamente wie bestimmte Antipsychotika und Muskelrelaxantien
- Eine Zunahme der Verordnung ist durch praktische Ärzte, aber auch Fachärzte anderer Disziplinen bedingt (dort relative Verordnungshäufigkeit relativ niedrig, absolute aber hoch – machen über die Hälfte der Verordnungen aus), nicht durch Fachärzte für Psychiatrie
- Der Anstieg der Verordnungen beruht auf einer Zunahme der Weiterverordnungen, nicht der Neueinstellungen
- Der Anstieg betrifft sowohl kurz- als auch langwirksame Benzodiazepine
- Unveränderte Verordnungszahlen: bei Insomnie / leichte Erhöhung: bei Angst und Depression / starke Erhöhung: bei chronischem Schmerzsyndrom, neurologischen und sonstigen Erkrankungen
Einige Einschränkungen dieser Auswertung sollten jedoch bei Schlüssen daraus berücksichtigt werden. So lässt die Verordnungshäufigkeit nicht automatisch auf die Verordnungsmenge extrapolieren. Definierte Tagesdosen würden eine bessere Vergleichbarkeit ermöglichen. Der untersuchte Zeitraum erfasst nicht die letzten drei Jahre. Die Daten beziehen sich auf die USA; ob es sich in Deutschland ähnlich verhält, ist nicht bekannt. Obwohl die Verordnungszahlen zulasten der GKV in Deutschland seit Jahren rückläufig sind, geht man von fast 50% der Verordnungen auch für gesetzlich Versicherte auf Privatrezept aus [4], was die genaue Erhebung erschwert.

Fazit

Wir möchten die vorliegende Arbeit zum Anlass nehmen, nochmals auf die problematische langfristige Verordnung von Benzodiazepinen hinzuweisen, insbesondere in Kombination mit Opiaten und anderen sedierenden Substanzen, wie wir es schon in der aktuellen 12. Auflage des Kompendiums der Psychiatrischen Pharmakotherapie getan haben. Die Warnungen stehen an mehreren Stellen in den Kapiteln 3 (S. 335), 4 (S. 527) und 6 (S. 668). Gerade ältere Patienten stellen eine Risikopopulation dar (Kapitel 4, S. 529). Obwohl Benzodiazepine als Monotherapie im Allgemeinen eine große therapeutische Breite mit hoher Behandlungssicherheit aufweisen, muss die Nutzen-/Risiko-Abwägung in diesen hier beschriebenen klinischen Konstellationen besonders sorgfältig geprüft und eine Dauerbehandlung möglichst vermieden werden.

Literatur

[1] Agarwal SD, Landon BE. Patterns in outpatient benzodiazepine prescribing in the United States. JAMA Network Open 2019;2(1):e187399 doi:10.1001.
[2] Bachhuber MA et al. Increasing benzodiazepine prescriptions and overdose mortality in the United States, 1996-2013. Am J Public Health 2016;106:686-688.

[3] National Institute on Drug Abuse. Overdose death rates. https://www.drugabuse.gov/related-topics/trends-statistics/overdose-death-rates. Update August 2018.
[4] Janhsen K, Roser P, Hoffmann K. The problems of long-term treatment with benzodiazepines and realted substances – prescribing practice, epidemiology and the treatment of withdrawal. Dtsch Ärztebl Int 2015; 112:1-7.

Ion-George Anghelescu, Selent [i.anghelescu@asklepios.com]
Otto Benkert, Mainz [otto.benkert@t-online.de]

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