In vielen Studien konnte ein erhöhtes Unfallrisiko bei Patienten mit ADHS nachgewiesen werden. Ob und um welches Ausmaß die ADHS-Medikation dieses Risiko senken kann, wird seit geraumer Zeit diskutiert.
In einer Studie, bei der auf die Datenbank MarketScan mit Angaben von 100 Versicherern und knapp 150 Millionen US-Versicherten zurück gegriffen wurde, befanden sich ca. 2,3 Millionen Menschen im Alter von mindestens 18 Jahren, die entweder eine ADHS-Diagnose hatten oder ADHS-Medikamente erhielten (Chang et al., 2017).
Die Daten wurden über knapp zwei Jahre analysiert. 52 Prozent der Betroffenen waren Frauen. Es wurde festgehalten zu welchem Zeitpunkt den Patienten ein ADHS-Medikament verschrieben wurde und wann die Patienten mit ADHS notfallmäßig, nachdem sie als Fahrer eines motorisierten Fahrzeugs in einen Unfall verwickelt waren, in einer Klinik aufgenommen worden sind.
Es wurde insgesamt ca. 50 Millionen Patientenmonate ausgewertet. Davon mussten etwa 11.200 der Patienten mit ADHS (0,5 Prozent) aufgrund eines Verkehrsunfalls in einer Klinik versorgt werden. Verglichen mit einer gleichaltrigen Kontrollgruppe von Versicherten war die Rate schwerer Verkehrsunfälle bei Männern mit ADHS um 49 (OR, 1.49; 95 % CI, 1.46-1.54) und bei Frauen um 44 Prozent erhöht (OR, 1.44; 95 % CI, 1.41-1.48).
Bezogen auf die Gesamtpopulation der ADHS-Kranken ereigneten sich in den Monaten mit ADHS-Medikation 12 Prozent (OR, 0.88; 95% CI, 0.84-0.93) weniger Unfälle bei Männern und 14 Prozent (OR, 0.85; 95% CI, 0.82-0.90) weniger bei Frauen.
Beim intraindividuellen Vergleich wurde das Risiko für Unfälle mit einem motorisierten Fahrzeug in Monaten mit und ohne ADHS-Medikation bei den einzelnen Patienten berechnet. Danach ist die Gefahr in einen Verkehrsunfall verwickelt zu werden bei Männern in Monaten ohne ADHS-Medikation um 38 (OR, 0.62; 95% CI, 0.56-0.67) und bei Frauen um 42 Prozent (OR, 0.58; 95% CI, 0.53-0.62) höher als mit ADHS-Medikation.
Die Autoren folgern, dass 22 Prozent der schweren Verkehrsunfälle durch den Verzicht auf eine ADHS-Medikation erklärbar ist. Dieser Anteil ist unabhängig von Alter, psychiatrischer Komedikation oder einer laufenden Psychotherapie.
Fazit:
Laut Madaan und Cox (2017) werde der Medikationseffekt bei ADHS deutlich unterschätzt, wenn man nur auf die Verschreibungszahlen und die Unfall-Notaufnahmen schaut. Es sei nämlich unklar, ob die Patienten zum Zeitpunkt des Unfalls tatsächlich einen Medikamentenspiegel hatten. Die Daten in der Studie von Chang et at. (2017) bezogen sich auf die ärztlich verordneten monatlichen Dosen. Ob der Patient tatsächlich die Medikation eingenommen hat oder ob die Wirkung schon abgeklungen war, ist durch diese Studiendesign nicht überprüfbar.
Abschließend kann dennoch gefolgert werden, dass die Anzahl der Verkehrsunfälle bei Patienten mit ADHS signifikant erhöht ist und durch ADHS-Medikation reduziert werden kann.
Literatur:
Chang Z, Quinn PD, Kwan Hur K; et al. Association Between Medication Use for Attention-Deficit/Hyperactivity Disorder and Risk of Motor Vehicle Crashes
JAMA Psychiatry. 2017; 74: 597-603
Madaan V, Cox DJ. Distracted Driving With Attention-Deficit/Hyperactivity Disorder. JAMA Psychiatry. 2017; 74: 603-604
Philip Heiser, Nordhausen/Freiburg; [philip.heiser@uniklinik-freiburg.de]
Otto Benkert, Mainz; [otto.benkert@t-online.de]