Ketamin – American Psychiatric Association (APA) veröffentlicht Anwendungsempfehlungen zum Einsatz in der Behandlung depressiver Störungen

Anhand von mehreren Studien konnte mittlerweile eine positive Wirkung des NMDA-Antagonisten Ketamin bei therapieresistenten depressiven Störungen aufgezeigt werden, so dass die intervenöse Gabe des seit den 1970er Jahren zugelassenen Anästhetikums/Analgetikums in subanästhetischen Dosen zunehmend in der antidepressiven Behandlung eingesetzt wird (siehe Kap. 1.2 und Kap. 1.4.2. des Kompendiums). In Anbetracht des zunehmenden off-label Gebrauchs von Ketamin in psychiatrischen Indikationen, eines vermehrten Medieninteresses und zunehmender Patientenanfragen nach einer Ketaminbehandlung veröffentlichte die American Psychiatric Association (APA) kürzlich eine Übersicht zur aktuellen Datenlage sowie Anwendungsempfehlungen zum Einsatz von Ketamin in der Behandlung depressiver Störungen [1].
Durch diese Veröffentlichung ist ein update der Informationen der 11. Auflage des Kompendiums der Psychiatrischen Pharmakotherapie (Kap. 1.2 und Kap. 1.4.2) möglich. Insbesondere werden jetzt ausführliche Empfehlungen zu den für eine Ketaminbehandlung erforderlichen Voraussetzungen und Untersuchungen ausgesprochen und Einzelheiten bezüglich der Dosierung, Frequenz und Dauer der Behandlung und den Nebenwirkungen bei wiederholten Ketamingaben aufgeführt.

In Bezug auf für eine Ketaminbehandlung in Frage kommende Patienten sieht die Expertengruppe der APA aktuell die beste Datenlage für die Behandlung der Major Depression ohne psychotische Symptome. Vor einem Behandlungsversuch mit Ketamin sollte eine ausführliche und umfassende Anamnese erfolgen, diese sollte vorangegangene antidepressive Behandlungsversuche (Therapieresistenz), den Schweregrad der depressiven Symptomatik, das Vorliegen substanzbezogener und/ oder psychotischer Störungen aktuell und in der Vorgeschichte (Fremdanamnese, Drogenscreening), potentielle Risikofaktoren für Nebenwirkungen einer Ketamingabe, eine körperliche Untersuchung und Laboruntersuchungen umfassen. Auch sollte eine ausführliche Aufklärung des Patienten über Nutzen, Risiken und alternative Behandlungsoptionen erfolgen und vor Beginn der Behandlung eine schriftliche Einwilligung eingeholt werden.

Die Ketamingabe in subanästhetischer Dosis (0,5 mg pro kg Körpergewicht i.v. über 40 min.) sollte nach Ansicht der Expertengruppe durch Ärzte erfolgen, die potentielle kardiovaskuläre Nebenwirkungen (insbesondere Blutdruck- und Pulsanstieg) entsprechend behandeln können und erfahren in der Notfallmedizin sind. Auch sollten Ärzte vertraut sein mit der Behandlung möglicher psychotomimetischer Effekte mit daraus resultierenden Verhaltensänderungen sowie ein gewisses Maß an Erfahrungen in der Gabe von Ketamin gesammelt haben, bevor sie eine Behandlung anbieten. Die Gabe sollte in Zentren erfolgen, in denen eine engmaschige Beobachtung vor Entlassung erfolgen kann und bei Bedarf jederzeit eine Wiedervorstellung möglich ist. Auch sollten ein Monitoring von EKG, Blutdruck und Sauerstoffsättigung erfolgen sowie Möglichkeiten einer Notfallversorgung z.B. kardiovaskulärer Komplikationen vorgehalten werden. Dabei sollten Standard Operating Procedures (SOP) eingehalten werden und Blutdruck, Puls, Sauerstoffsättigung und Bewusstseinszustand bzw. psychopathologischer Befund vor, während und nach der Ketamingabe ausführlich dokumentiert werden.

Die Dosierung von Ketamin in der Behandlung depressiver Störungen sollte nach Ansicht der APA bei bislang unzureichender Datenlage bezüglich alternativer Dosierungen oder Applikationsformen in der Regel 0,5 mg Ketamin pro kg Körpergewicht über 40 Minuten i.v. betragen. Dabei könne bei Patienten mit einem Body Mass Index (BMI) >30 kg/m2 ggf. durch Verwendung des Idealgewichtes anstatt des tatsächlichen Körpergewichtes zur Dosisberechnung die Gabe einer reduzierten Dosis erwogen werden, um Nebenwirkungen zu vermeiden.

Auch wenn die Datenlage derzeit noch zu schmal sei, um bezüglich der Frequenz und Dauer der Ketaminbehandlung klare Empfehlungen auszusprechen, könne nach Ansicht der Expertengruppe anhand der Ergebnisse einer aktuellen randomisieren kontrollierten Studie [2] eine Gabe zwei Mal wöchentlich über einen Zeitraum von 4 Wochen empfohlen werden, da eine häufigere Gabe keine zusätzlichen Effekte aufgezeigt hatte. Auch wenn eine positive Wirkung meist früh im Behandlungsverlauf auftritt, gäbe es auch Berichte über eine kumulative Wirkung von wiederholten Gaben. Dabei liegen nur wenige Daten dazu vor, ab welchem Zeitpunkt die Fortsetzung einer Ketamingabe wenig erfolgsversprechend erscheint und die Behandlung beendet werden sollte; einige Berichte weisen auf eine Response auch nach mehr als 3 Infusionen hin. Ebenso könne keine klare Empfehlung zu einer bestimmten Anzahl an Infusionen zur Optimierung einer anhaltenden Wirkung gegeben werden. Zur besseren Nutzen-Risiko-Bewertung der Ketaminbehandlung sollten Rating-Instrumente zur Schweregradbeurteilung der depressiven Symptomatik eingesetzt werden.

Die Datenlage zur Langzeitwirkung und Sicherheit einer wiederholten Ketamin-Behandlung bei affektiven Störungen ist nach Einschätzung der APA sehr limitiert. Oftmals erfolge eine Gabe 2 bis 3 Mal wöchentlich über einen Zeitraum von 2 oder 3 Wochen mit einer anschließend reduzierten Frequenz der Gabe bzw. auch Fortsetzung der Gabe je nach Dauer der Response. Jedoch sei diese Praxis nicht ausreichend belegt, so dass jede Ketamingabe gegen die möglichen Risiken abgewogen werden sollte. Im Hinblick auf mögliche kognitive Nebenwirkungen, das Risiko einer Zystitis bei hochfrequentem und chronischem Gebrauch von Ketamin sowie das Missbrauchspotential empfiehlt die APA bei wiederholten Ketamingaben eine Erhebung kognitiver Funktionen, die Erhebung möglicher dysurischer Beschwerden sowie eine Substanzanamnese. Aufgrund des Missbrauchspotentials sollte intermittierend ein Drogenscreening im Urin erfolgen, auf Hinweise für einen Substanzmissbrauch geachtet werden und die Anzahl und Frequenz der Behandlungen auf das nötigste begrenzt werden. Auch sollte keine Verschreibung für eine Selbstmedikation erfolgen.

Zusammenfassung:

Die Empfehlungen der APA zum Einsatz von Ketamin in der Behandlung depressiver Störungen entsprechen prinzipiell den im Kompendium ausgesprochenen Empfehlungen. Ergänzt werden diese nun durch eine genauere Aufführung der für eine Ketaminbehandlung erforderlichen Voraussetzungen und Untersuchungen sowie durch Einzelheiten bezüglich der Dosierung, Frequenz und Dauer der Behandlung und den Nebenwirkungen bei wiederholten Ketamingaben. Eine Ketamingabe sollte weiterhin nicht unkritisch erfolgen und spezialisierten Zentren vorbehalten sein.

Literatur:

[1] Sanacora G, Frye MA, McDonald W, Mathew SJ, Turner MS, Schatzberg AF, Summergrad P, Nemeroff CB; American Psychiatric Association (APA) Council of Research Task Force on Novel Biomarkers and Treatments. A Consensus Statement on the Use of Ketamine in the Treatment of Mood Disorders. JAMA Psychiatry. 2017; 74(4):399-405.

[2] Singh JB, Fedgchin M, Daly EJ, De Boer P, Cooper K, Lim P, Pinter C, Murrough JW, Sanacora G, Shelton RC, Kurian B, Winokur A, Fava M, Manji H, Drevets WC, Van Nueten L. A Double-Blind, Randomized, Placebo-Controlled, Dose-Frequency Study of Intravenous Ketamine in Patients With Treatment-Resistant Depression. Am J Psychiatry. 2016; 173(8):816-26.

Francesca Regen, Berlin [francesca.regen@charite.de]
Otto Benkert, Mainz [otto.benkert@t-online.de]

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