Antidepressiva – Blutungsrisiko: Update 2014

Bereits seit längerem ist bekannt, dass es auf aufgrund einer Thrombozytenfunktionsstörung mit verminderter Aggregationsfähigkeit unter Antidepressiva mit Hemmung der Serotoninwiederaufnahme (SSRI, SNRI oder SRI) zum Auftreten einer verlängerten Blutungszeit und/oder Anzeichen einer Blutung kommen kann. In Bezug auf gastrointestinale (GI) Blutungen zeigt sich unter Antidepressiva mit Hemmung der Serotoninwiederaufnahme dabei ein erhöhtes Risiko vergleichbar demjenigen unter einer Behandlung mit Thrombozytenaggregationshemmern. Werden gleichzeitig gastrotoxische (NSAID) und/oder die Thrombozytenfunktion beeinflussenden Substanzen verordnet, steigt das Risiko für gastrointestinale Blutungen überadditiv an (s. Abschn. 1.6.4, Kompendium 9. Auflage).

In einer aktuellen Studie konnte dieser Zusammenhang erneut bestätigt werden (Wang et al, 2014). Dabei zeigte sich bereits früh – innerhalb von 7-28 Tagen nach Behandlungsbeginn - unter SSRI ein erhöhtes Risiko für eine obere gastrointestinale Blutung. Die Autoren diskutieren verschiedene Mechanismen, die für die Assoziation verantwortlich sein könnten: neben einer Alteration der Thrombozytenfunktion durch Hemmung der Serotoninaufnahme könnte das erhöhte Risiko einer oberen gastrointestinalen Blutung auch durch einen direkten Schaden der gastorintestinalen Schleimhaut und durch eine Stimulation der Magensäureproduktion durch SSRI (mit-)bedingt sein. TZA zeigten in dieser Studie keine Assoziation mit oberen gastrointestinalen Blutungen, was möglicherweise durch eine Hemmung der Magensäuresekretion bei antihistaminerger und anticholinerger Komponente bedingt sein könnte (Wang et al., 2014).
Die Studienergebnisse weisen nochmals auf die Notwendigkeit hin, ein erhöhtes Blutungsrisiko unter Antidepressiva zu bedenken. Hierbei ergeben sich differentielle Risiken, die nachfolgend zusammengefasst werden sollen:

Gastrointestinale Blutungen
- In Bezug auf gastrointestinale Blutungen zeigt sich unter Antidepressiva mit Hemmung der Serotoninwiederaufnahme ein erhöhtes Risiko vergleichbar demjenigen unter einer Behandlung mit Thrombozytenaggregationshemmern. Das erhöhte Risiko ergibt sich bereits früh im Behandlungsverlauf (innerhalb von 7-28 Tagen nach Behandlungsbeginn).
- Bei einer gleichzeitigen Verordnung von Antidepressiva mit Hemmung der Serotoninwiederaufnahme und gastrotoxischen und/oder die Thrombozytenfunktion beeinflussenden Substanzen steigt das Risiko für gastrointestinale Blutungen überadditiv an.

Blutungen außerhalb des Gastrointestinaltrakts
- In Bezug auf ein möglicherweise erhöhtes Risiko für Blutungen außerhalb des Gastrointestinaltrakts wie z.B. intrakranielle Blutungen ist die Studienlage nicht eindeutig. Während in einigen Studien kein Zusammenhang zwischen Antidepressiva und intrakraniellen Blutungen/ hämorrhagischen Infarkten aufgezeigt werden konnte, fanden sich in anderen Studien ein erhöhtes Risiko, wobei vor dem Hintergrund der Inzidenz intrakranieller Blutungen die absolute Risikoerhöhung durch SSRI in dieser Studie als gering eingeschätzt wurde (Hackam et al. 2012).
- Einschränkungen bei der Betrachtung von Studienergebnissen zu einem möglichen Zusammenhang zwischen Antidepressiva und intrakraniellen Blutungen ergeben sich daraus, dass oftmals nicht alle konfundierenden Faktoren wie z.B. gemeinsame Risikofaktoren für Depressionen und intrakranielle Hämorrhagien wie Mikroangiopathie, Diabetes mellitus, Nikotin- und Alkoholkonsum kontrolliert wurden. Auch stellt die zugrunde liegende Depression als Grund für die Verschreibung von Antidepressiva selbst einen Risikofaktor für cerebrovaskuläre Ereignisse dar.
- In RCT zum Einsatz von SSRI bei Patienten nach Schlaganfall zeigte sich bislang kein erhöhtes Risiko für cerebrovaskuläre unerwünschte Ereignisse. Eine aktuelle Studie ergab bei Patienten nach Schlaganfall, die mit SSRI behandelt wurden, zwar ein signifikant erhöhtes Risiko für Blutungen im Allgemeinen, jedoch nicht für intrakranielle Blutungen (Mortensen et al., 2013).

Risikofaktoren für Blutungskomplikationen
- Als Risikofaktoren für obere GI-Blutungen gelten eine GI-Blutung in der Anamnese, die Einnahme von NSAID, Kortikosteroiden, Thrombozytenaggregationshemmern, Alkohol- oder Nikotinkonsum und höheres Lebensalter. Risikofaktoren für zerebrale Hämorrhagien stellen z.B. eine Mikroangiopathie, arterielle Hypertonie, Alkohol- und Nikotinkonsum dar. Risikofaktoren für Blutungen im Allgemeinen bilden Lebererkrankungen, anstehende operative Eingriffe oder die Einnahme von Thrombozytenaggregationshemmern oder Antikoagulanzien.

Maßnahmen zur Risikoreduktion für Blutungskomplikationen unter Antidepressiva
- Liegt ein erhöhtes Risiko für Blutungskomplikationen vor und/ oder erfolgt eine Thrombozytenaggregationshemmung oder eine Antikoagulation durch andere Präparate, sollte geprüft werden, ob nicht die Gabe eines Antidepressivums mit geringer(er) oder fehlender relevanter Affinität zum Serotonintransporter (z.B. überwiegende oder selektive NA-Wiederaufnahmehemmer, TZA mit überwiegender NA-Wiederaufnahmehemmung, Mirtazapin, Bupropion, Agomelatin) vorzuziehen ist.
- Stellt eine Behandlung mit einem Antidepressivum mit geringer(er) oder fehlender Affinität zum Serotonintransporter unter Abwägung der Vor- und Nachteile im Einzelfall z.B. aufgrund von fehlender Wirksamkeit oder von NW keine Alternative dar, sollte bei einer gleichzeitigen Einnahme von Antidepressiva mit Hemmung der Serotoninwiederaufnahme und Bestehen von Risikofaktoren für eine GI-Blutung (s.o.) zusätzlich ein Antazidum/ Protonenpumpenhemmer (z.B. Pantoprazol) gegeben werden. Hierdurch scheint eine deutliche Risikoreduktion für obere gastrointestinale Blutungen erreicht werden zu können.
- Die Indikation für eine antidepressive Behandlung sollte gut geprüft werden, das beschriebene, erhöhte Risiko für eine GI-Blutung oder möglicherweise auch eine intrakranielle Blutung unter Antidepressiva mit Hemmung der 5-HT-Wiederaufnahme sollte bei behandlungsbedürftigen Depressionen einer antidepressiven Behandlung auch mit einem (S)SRI jedoch nicht entgegen stehen.

Literatur:
[1] Wang YP, Chen YT, Tsai CF, Li SY, Luo JC, Wang SJ, Tang CH, Liu CJ, Lin HC, Lee FY, Chang FY, Lu CL. Short-term use of serotonin reuptake inhibitors and risk of upper gastrointestinal bleeding. Am J Psychiatry. 2014; 171(1):54-61.
[2] Hackam DG, Mrkobrada M. Selective serotonin reuptake inhibitors and brain hemorrhage: a meta-analysis. Neurology. 2012; 79(18):1862-5.
[3] Mortensen JK, Larsson H, Johnsen SP, Andersen G. Post stroke use of selective serotonin reuptake inhibitors and clinical outcome among patients with ischemic stroke: a nationwide propensity score-matched follow-up study. Stroke. 2013; 44(2):420-6.
Francesca Regen, Berlin
Otto Benkert, Mainz

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