Vortioxetin – EU-Zulassung als neues Antidepressivum

Im Dezember 2013 erteilte die Europäische Kommission eine Genehmigung für das Inverkehrbringen des Antidepressivums Vortioxetin zur Behandlung der Major Depression. Zuvor hatte im September 2013 die amerikanische Zulassungsbehörde FDA für Vortioxetin eine Zulassung in dieser Indikation erteilt. Vortioxetin wird unter dem Handelsnamen „Brintellix“ (Lundbeck) nach Abschluss von Diskussionen um die Erstattungsfähigkeit und Preisfestsetzung vermutlich ab der zweiten Jahreshälfte 2014 in 5, 10, 15 und 20 mg Tabletten sowie als Tropfen zum Einnehmen (20 mg/ml) erhältlich sein [1].
Die Zulassung basiert auf Daten aus 12 RCT (einschließlich einer RCT bei älteren Patienten > 65 Jahren [2]), von denen sich bei 9 RCT Vortioxetin (in mindestens einer der untersuchten Dosierungen) Plazebo signifikant überlegen zeigte [1, 2-5, 12]. In einer 12-wöchigen doppelblinden Vergleichsstudie gegenüber Agomelatin 25-50 mg/d zeigte sich Vortioxetin Agomelatin überlegen (Study 14178A; [1]). In einer Studie zur Erhaltungstherapie und Rezidivprophylaxe über 24-64 Wochen zeigte Vortioxetin signifikante Vorteile im Vergleich zu Plazebo [6, 7].
Vortioxetin wurde auch bei der generalisierten Angststörung (GAS) geprüft, hier zeigte sich allerdings in 3von 4 publizierten RCT kein signifikanter Vorteil für Vortioxetin im Vergleich zu Plazebo [8-11].

Pharmakodynamik und Pharmakokinetik

Zusätzlich zu einer Serotonin- (5-HT-) Wiederaufnahmehemmung zeigt Vortioxetin einen Agonismus an 5-HT1A- Rezeptoren, einen partiellen Agonismus an 5-HT1B-Rezeptoren sowie einen Antagonismus an 5-HT3-. 5-HT7- und 5-HT1D-Rezeptoren [1, 12.]. Anhand präklinischer Studien wird angenommen, dass daraus eine Modulation vorrangig der serotonergen, aber auch der noradrenergen, dopaminergen, cholinergen, histaminergen sowie auch der GABAergen und glutamatergen Neurotransmission resultiert [12, 13, 14]. Inwiefern dies zum antidepressiven Effekt beiträgt, ist unklar.
Vortioxetin wird nach oraler Gabe langsam aber gut resorbiert, maximale Plasmakonzentrationen werden nach 7-11 Stunden erreicht (Tmax). Die absolute Bioverfügbarkeit ist 75 %, eine Wirkung von Nahrung auf die Pharmakokinetik wurde nicht beobachtet. Die Plasmaproteinbindung beträgt 98-99%. Vortioxetin wird extensiv über die Leber unter Beteiligung des Cytochrom P 450 Systems metabolisiert, insbesondere von CYP2D6, in geringerem Ausmaß von CYP3A4/5 und CYP2C9. Vortioxetin selbst zeigt keine hemmenden oder induzierenden Effekte auf CYP-Isoenzyme. Der Hauptmetabolit von Vortioxetin ist pharmakologisch inaktiv. Die Eliminationshalbwertszeit liegt bei im Mittel 66 Stunden, Steady-State-Plasmakonzentrationen werden nach 2 Wochen erreicht [12].

Dosierungsempfehlungen

Die Anfangs- und empfohlene Erhaltungsdosis von Vortioxetin bei Erwachsenen unter 65 Jahren beträgt 10 mg/Tag einmal täglich. Abhängig vom Ansprechen des Patienten kann die Dosis auf 20 mg Vortioxetin einmal täglich (Tageshöchstdosis) erhöht oder auf 5 mg Vortioxetin einmal täglich (niedrigste wirksame Dosis) gesenkt werden [1, 12]. In einer RCT zeigte sich unter höheren Dosierungen eine erhöhte Wirksamkeit, so dass bei fehlender Wirksamkeit eine Dosissteigerung empfohlen wird. Für ältere Patienten ab 65 Jahren wird eine Anfangsdosis von 5 mg/Tag und eine Erhaltungsdosis von maximal 10 mg/Tag empfohlen, Dosierungen über 10 mg/Tag führten bei Patienten > 65 Jahren zu einer erhöhten Studien-Abbruchrate [12]. Eine Dosisanpassung bei leichten oder mittelschweren Leberfunktionsstörungen oder Nierenfunktionsstörungen ist nicht erforderlich, bei Komedikation mit CYP2D6-Inhibitoren oder –Induktoren kann eine Dosisanpassung erforderlich sein.

Nebenwirkungen

Die häufigste Nebenwirkung war Übelkeit, daneben werden als häufige Nebenwirkungen Erbrechen, Obstipation, Diarrhoe, Appetitminderung, Schwindelgefühl, abnorme Träume und generalisierter Pruritus angegeben [12]. Als gelegentliche Nebenwirkungen werden Zähneknirschen, Hitzegefühl und nächtliche Schweißausbrüche genannt. Gastrointestinale Nebenwirkungen, wie z. B. Übelkeit, traten bei Frauen häufiger auf als bei Männern. Die Häufigkeit einer sexuellen Dysfunktion war gering, sie zeigte sich unter Vortioxetin in Dosierungen von 5-15 mg/Tag nicht häufiger als unter Plazebo [12]. In einer Dosierung von 20 mg/Tag zeigten sich unter Vortioxetin sexuelle Dysfunktionen in einer Häufigkeit vergleichbar derjenigen unter Duloxetin [1]. Es ergaben sich keine Erhöhung der Inzidenz von Schlafstörungen oder Somnolenz sowie keine Wirkung auf das Körpergewicht. Absetzeffekte wurden nicht beobachtet, eine schrittweise Dosisreduktion ist bei Beendigung der Behandlung nicht erforderlich. Bezüglich kardialer Nebenwirkungen ergaben sich keine Veränderungen der Herzfrequenz oder des Blutdrucks, auch fanden sich keine signifikanten Wirkungen auf EKG-Parameter wie z.B. das QTc-Intervall [12]. Ob Vortioxetin bei Patienten mit bipolarer Störung im Vergleich zu anderen Antidepressiva oder SSRI ein erhöhtes Risiko für einen Switch in eine manische Phase zeigt, kann gegenwärtig bei fehlender klinischer Erfahrung in dieser Patientengruppe nicht beurteilt werden. Anhand der Ergebnisse der bisher vorliegenden klinischen Daten ergab sich kein Hinweis für eine Induktion von Manien / Hypomanien [1].

Bewertung

Mit Vortioxetin liegt ein neues Antidepressivum vor, welches zusätzlich zu einer Serotoninwiederaufnahmehemmung wie bei den SSRI auch weitere Rezeptorwirkungen aufweist. Inwiefern diese zum antidepressiven Effekt beitragen, ist unklar. Vortioxetin zeigt insgesamt ein günstiges Nebenwirkungsprofil (geringe Rate an sexuellen Funktionsstörungen, keine kardialen Nebenwirkungen, keine Veränderungen der Herzfrequenz oder des Blutdrucks, keine Verlängerung des QTc-Intervalls, keine Gewichtszunahme, keine Absetzeffekte). Ob sich Vorteile oder Nachteile gegenüber SSRI oder anderen Antidepressiva ergeben und ob Vortioxetin Wirksamkeit in anderen Indikationen oder speziellen Patientengruppen zeigt, muss in weiteren klinischen Studien und Anwendungsbeobachtungen geprüft werden.

Literatur

[1]: http://www.ema.europa.eu/docs/en_GB/document_library/EPAR_-_Public_assessment_report/human/002717/WC500159447.pdf

[2] Katona C, Hansen T, Olsen CK. A randomized, double-blind, placebo-controlled, duloxetine-referenced, fixed-dose study comparing the efficacy and safety of Lu AA21004 in elderly patients with major depressive disorder. Int Clin Psychopharmacol. 2012;27(4):215-23.

[3] Alvarez E, Perez V, Dragheim M, Loft H, Artigas F. A double-blind, randomized, placebo-controlled, active reference study of Lu AA21004 in patients with major depressive disorder. Int J Neuropsychopharmacol. 2012 Jun;15(5):589-600.

[4] Henigsberg N, Mahableshwarkar AR, Jacobsen P, Chen Y, Thase ME. A randomized, double-blind, placebo-controlled 8-week trial of the efficacy and tolerability of multiple doses of Lu AA21004 in adults with major depressive disorder. J Clin Psychiatry. 2012 Jul;73(7):953-9.

[5] Boulenger JP, Loft H, Olsen CK. Efficacy and safety of vortioxetine (Lu AA21004), 15 and 20 mg/day: a randomized, double-blind, placebo-controlled, duloxetine-referenced study in the acute treatment of adult patients with major depressive disorder. Int Clin Psychopharmacol. 2013 Nov 19. [Epub ahead of print]

[6] Boulenger JP, Loft H, Florea I. A randomized clinical study of Lu AA21004 in the prevention of relapse in patients with major depressive disorder. J Psychopharmacol. 2012;26(11):1408-16.

[7] Baldwin DS, Hansen T, Florea I. Vortioxetine (Lu AA21004) in the long-term open-label treatment of major depressive disorder. Curr Med Res Opin. 2012;28(10):1717-24.

[8] Rothschild AJ, Mahableshwarkar AR, Jacobsen P, Yan M, Sheehan DV. Vortioxetine (Lu AA21004) 5 mg in generalized anxiety disorder: results of an 8-week randomized, double-blind, placebo-controlled clinical trial in the United States. Eur Neuropsychopharmacol. 2012;22(12):858-66.

[9] Bidzan L, Mahableshwarkar AR, Jacobsen P, Yan M, Sheehan DV. Vortioxetine (Lu AA21004) in generalized anxiety disorder: results of an 8-week, multinational, randomized, double-blind, placebo-controlled clinical trial. Eur Neuropsychopharmacol. 2012;22(12):847-57.

[10] Mahableshwarkar AR, Jacobsen PL, Serenko M, Chen Y. A randomized, double-blind, fixed-dose study comparing the efficacy and tolerability of vortioxetine 2.5 and 10 mg in acute treatment of adults with generalized anxiety disorder. Hum Psychopharmacol. 2014;29(1):64-72.

[11] Mahableshwarkar AR, Jacobsen PL, Chen Y, Simon JS. A randomised, double-blind, placebo-controlled, duloxetine-referenced study of the efficacy and tolerability of vortioxetine in the acute treatment of adults with generalised anxiety disorder. Int J Clin Pract. 2014;68(1):49-59.

[12] http://www.ema.europa.eu/docs/de_DE/document_library/EPAR_-_Product_Information/human/002717/WC500159449.pdf

[13] Pehrson AL, Sanchez C. Serotonergic modulation of glutamate neurotransmission as a strategy for treating depression and cognitive dysfunction. CNS Spectr. 2013 Aug 1:1-13.

[14] Pehrson AL, Cremers T, Bétry C, van der Hart MG, Jørgensen L, Madsen M, Haddjeri N, Ebert B, Sanchez C. Lu AA21004, a novel multimodal antidepressant, produces regionally selective increases of multiple neurotransmitters–a rat microdialysis and electrophysiology study. Eur Neuropsychopharmacol. 2013;23(2):133-45.

Francesca Regen, Berlin
Otto Benkert, Mainz

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