Tianeptin – als Antidepressivum jetzt auch in Deutschland verfügbar

Tianeptin, das als Antidepressivum bereits seit 1988 in Frankreich und seit 1999 auch in Österreich unter dem Handelsnamen Stablon® (Servier) zugelassen ist, ist seit November 2012 auch in Deutschland erhältlich und wird von neuraxpharm unter dem Handelsnamen Tianeurax® vertrieben. Strukturchemisch stellt Tianeptin ein trizyklisches Antidepressivum dar; der eigentliche pharmakodynamische Wirkmechanismus allerdings ist auch heute noch unklar.

Anders als andere Antidepressiva soll Tianeptin über eine Verstärkung der Serotonin- (5-HT) Wiederaufnahme zu einer Senkung der extrazellulären 5-HT-Konzentration („Serotonin-Reuptake-Enhancement, SRE“) führen. Dieser Effekt erscheint allerdings nicht konsistent, so dass andere mögliche Wirkmechanismen postuliert werden. So zeigte Tianeptin in präklinischen Studien auch neuroprotektive und neurotrophe Eigenschaften sowie modulierende Effekte auf die glutamaterge Transmission (Kasper & McEwen, 2008; McEwen et al., 2010). Ebenfalls konnte eine Zunahme der extrazellulären Dopamin- (DA-) Konzentration im Nucleus accumbens gezeigt werden, ohne dass sich jedoch eine Affinität zu DA-Transportern oder DA-Rezeptoren findet (Invernizzi et al., 1992). Klinisch und wissenschaftlich fand das Antidepressivum seit seiner Einführung in Frankreich vor über 25 Jahren international kein besonderes Interesse.

Nachfolgend sollen die wichtigsten Charakteristika von Tianeptin, angepasst an die Präsentation der Psychopharmaka im Präparateteil des Kompendiums, vorgestellt werden. Das Antidepressivum kam erst nach Drucklegung der 9. Auflage im Herbst 2012 in den Handel.

Tianeptin
Trizyklisches Antidepressivum.

Tianeurax (neuraxpharm)

Tbl. 12,5 mg (20, 50, 100 Tbl.)

Pharmakodynamik

- Der eigentliche pharmakodynamische Wirkmechanismus ist im Einzelnen noch unklar.
- Anders als andere AD soll Tianeptin zu einer Senkung der extrazellulären 5-HT-Konzentration führen, vermutlich durch Verstärkung der 5-HT Wiederaufnahme („Serotonin-Reuptake-Enhancement, SRE“). Dieser Effekt erscheint allerdings nicht konsistent, so dass andere mögliche Wirkmechanismen (s.u.) postuliert werden.
- In präklinischen Studien zeigte Tianeptin auch neuroprotektive und neurotrophe Eigenschaften sowie modulierende Effekte auf die glutamaterge und dopaminerge Transmission.
- Keine anticholinergen und antihistaminergen Eigenschaften.
Pharmakokinetik
- Orale Bioverfügbarkeit 99%; Tmax = 1–2 h; t½ = 2,5-3h, aktiver Metabolit (MC5): t½ = 7-8h, ältere Patienten: t½ = 4-9h.
- Metabolisierung überwiegend durch β-Oxidation, in geringem Maß durch N-Demethylierung, 1 aktiver Metabolit (MC5), 1 inaktiver Metabolit (MC3).

Indikationen und Behandlungshinweise

- Episoden einer Major Depressionz.
- Erste Hinweise auf Wirksamkeit bei Colon irritabile, PTBS sowie Asthma bronchiale.
- In 2 RCT Wirksamkeit in der Behandlung depressiver Episoden, in aktiven Vergleichstudien ähnliche antidepressive Wirksamkeit wie SSRI und andere TZA.
- Gute kardiale Verträglichkeit; es konnte kein Einfluss auf Herzfrequenz, Blutdruck, ventrikuläre Funktion oder die kardiale Erregungsleitung aufgezeigt werden.
- Vorsicht bei Pat. mit Abhängigkeitserkrankungen aktuell oder in der Vorgeschichte, Vorsicht im Fall einer selbstständigen Dosissteigerung. Es liegen Berichte über Missbrauch und Abhängigkeitsentwicklungen vor, insbesondere bei weiblichen Patienten unter 50 Jahren mit Abhängigkeitserkrankungen in der Vorgeschichte. In Frankreich führte dies 2007 zu einem Warnhinweis, seit September 2012 unterliegt Tianeptin dort besonderen Verschreibungsverordnungen (max. 28 Tage, BtM-Rezept-pflichtig). Auch in anderen Ländern wurde aufgrund von Missbrauch die Verordnung eingeschränkt; in Georgien wurde 2011 die Zulassung zurückgezogen. Es finden sich selbstständige Dosissteigerungen mit Einnahme des 2-4fachen der zugelassen Höchstdosis (ca. 22% der berichteten Fälle) bis hin zur Einnahme des 13-20fachen der zugelassen Höchstdosis (18% der berichteten Fälle). Auch Berichte über die regelmäßige Einnahme von 360-400 Tbl. (5000 mg) täglich liegen vor.

Dosierung

- 12,5 mg 3 x täglich vor oder während der Mahlzeiten.
- Bei älteren Patienten und eingeschränkter Nierenfunktion Dosisanpassung: 2×12,5 mg.
Nebenwirkungen und Intoxikationen
Häufig: Anorexie, Albträume, Schlaflosigkeit, Schläfrigkeit, Schwindel, Kopfschmerzen, Zusammenbruch, Tremor; beeinträchtigtes Sehvermögen, Herzrasen, Herzklopfen, Extrasystolen, Brustschmerz, Hitzewallungen, Dyspnoe, trockener Mund, Darmträgheit, Bauchschmerzen, Übelkeit, Erbrechen, Dyspepsie, Diarrhoe, Blähungen, Sodbrennen, Rückenschmerzen, Myalgie, Asthenie, Globusgefühl.
Sonstige Nebenwirkungen: Selten Arzneimittelmissbrauch und Abhängigkeit, besonders bei Pat. unter 50 Jahren mit früherem Alkohol- oder Drogenmissbrauch. Selten makulopapularer oder erythematöser Ausschlag, Juckreiz, Nesselsucht. Einzelfälle von erhöhten Leberenzymwerten und Hepatitis.
Intoxikationen: große therapeutische Breite, Fälle von Einnahmen sehr hoher Dosen (bis zu 5000 mg/d) über längere Zeiträume sind bekannt. Bei Überdosierung Symptome wie Übelkeit, Erbrechen, Schwindel, Somnolenz.

Kontraindikationen

- Gleichzeitige Behandlung mit nichtselektiven MAOH (Tranylcypromin). Eine Kasuistik berichtet unter der Kombination von Tianeptin mit Tranylcypromin keine Nebenwirkungen bei guter Wirksamkeit bei einer Patientin mit therapieresistenter depressiver Episode (Tobe, 2012).
- Relative Kontraindikationen: Zurückliegende Alkohol- oder Substanzabhängigkeit, unmittelbar bevorstehender Eingriff mit Allgemeinanästhesie (wenn möglich 24-48 h vor Eingriff Beendigung der Behandlung), schwere Niereninsuffizienz (Dosisanpassung).
Interaktionen
- Sehr geringes pharmakokinetisches Interaktionspotential, da der Metabolismus von Tianeptin vorwiegend durch β-Oxidation und nicht über das Cytochrom P450 System erfolgt.
- Von einem gleichzeitigen Konsum von Alkohol wird abgeraten.

Bewertung

Antidepressivum mit bisher nicht bekanntem, im einzelnen noch ungeklärtem Wirkmechanismus, welches bereits seit 1988 in Frankreich und langjährig in einigen anderen Ländern zugelassen ist. In Vergleichstudien Hinweise auf vergleichbare Wirksamkeit zu SSRI und TZA, hinsichtlich des Nebenwirkungsprofils vergleichbar SSRI bei Hinweisen auf eine geringere Rate an sexuellen Funktionsstörungen. Nicht sedierend, keine anticholinergen Eigenschaften. Kaum Metabolisierung über CYP450, sehr geringes Interaktionspotential, Dosisanpassung im Alter und bei Niereninsuffizienz. Nachteil der Notwendigkeit einer dreimal täglichen Einnahme. Vorsicht bei Patienten mit Abhängigkeitserkrankungen aktuell oder in der Vorgeschichte sowie bei Hinweisen auf selbstständige Dosissteigerungen; es liegen Berichte über Missbrauch und Abhängigkeitsentwicklungen vor, insbesondere bei weiblichen Patienten unter 50 Jahren mit früheren Abhängigkeitserkrankungen. In Frankreich führte dies 2007 zur Hinzufügung eines Warnhinweises, seit September 2012 unterliegt Tianeptin dort besonderen Verschreibungsverordnungen. Der klinische Nutzen im Vergleich zu anderen Antidepressiva ist zurzeit noch nicht abzuschätzen.

Literatur:
Kasper S, McEwen BS. Neurobiological and clinical effects of the antidepressant tianeptine. CNS Drugs. 2008;22(1):15-26.

McEwen BS, Chattarji S, Diamond DM, Jay TM, Reagan LP, Svenningsson P, Fuchs E. The neurobiological properties of tianeptine (Stablon): from monoamine hypothesis to glutamatergic modulation. Mol Psychiatry. 2010;15(3):237-49.

Invernizzi R, Pozzi L, Garattini S, Samanin R. Tianeptine increases the extracellular concentrations of dopamine in the nucleus accumbens by a serotonin-independent mechanism. Neuropharmacology. 1992;31(3):221-7.

Tobe EH. Tianeptine in combination with monoamine oxidase inhibitors for major depressive disorder. BMJ Case Rep. 2012 Oct 9; 2012.

Francesca Regen, Berlin

Otto Benkert, Mainz

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