Psychostimulantien – Diskussion um EKG- Ableitung vor der Verschreibung

Während die American Academy of Pediatrics (AAP) zunächst keine EKG-Ableitung vor der Behandlung mit Psychostimulanzien bei Patienten mit ADHS bei fehlenden Risikofaktoren empfohlen hatte, empfahl die American Heart Association (AHA) grundsätzlich eine EKG-Ableitung vor bzw. während der Behandlung mit Psychostimulanzien und Atomoxetin. Während die AHA argumentierte, dass die Patienten mit ADHS überproportional viele angeborene Herzfehler hätten (Vetter et al., 2008), argumentierte die AAP, dass keine Hinweise für kausale Zusammenhänge zwischen dem Auftreten kardiovaskulärer Symptome, Erkrankungen und Todesfälle und der medikamentösen Therapie vorliegen würden (Perrin et al., 2008).


Die AHA beschrieb in ihrer ursprünglichen Stellungnahme, dass Herzfehler am effizientesten durch ein EKG nachweisbar seien. Die EKG-Ableitung sollte vor Beginn der Therapie und bei jüngeren Kindern nach Erreichen des zwölften Lebensjahrs durchgeführt werden. Zusätzlich sollte der Blutdruck regelmäßig gemessen werden.
Inzwischen gibt es einen Konsens der beiden Berufsverbände, dem sich auch die American Academy of Child and Adolescent Psychiatry (AACAP) angeschlossen hat.

Die Leitliniengruppe des European Network for Hyperkinetic Disorders (EUNETHYDIS) und die Leitungsgruppe des zentralen adhs-netzes schliessen sich ebenfalls diesem Konsens an, die auch in Übereinstimmung mit den aktuell gültigen Leitlinien der deutschen Fachverbände und der Leitliniengruppe des European Network for Hyperkinetic Disorders (EUNETHYDIS) sind.

Die Empfehlungen der EUNETHYDIS lauten:

  • Bevor Patienten mit ADHS eine medikamentöse Therapie erhalten, sollten generell anhand von Eigenanamnese, Familienanamnese und körperlicher Untersuchung, (einschließlich Blutdruck- und Pulsmessung), kardiovaskuläre Risikofaktoren erfasst werden. In der Eigenanamnese sollte explizit nach körperlicher Belastbarkeit, nach Episoden von Müdigkeit und Erschöpfung oder Brustschmerzen unter Belastung, Herzerkrankungen des Patienten sowie nach Hinweisen auf ein Anfallsleiden gefragt werden. In der Familienanamnese sollten plötzliche und ungeklärte Todesfälle, Herzerkrankungen erfragt werden. Wenn Hinweiszeichen auf ein kardiales Risiko oder auf ein Anfallsleiden vorliegen, sollten weitergehende Untersuchungen erfolgen.
  • Die Ableitung eines EKG wird als Empfehlung vom Grad IIa [zur Feststellung eines Risikos für einen plötzlichen Herztod – unabhängig von ADHS] eingestuft, d.h. es ist vernünftig eine EKG-Ableitung als Teil der diagnostischen Abklärung bei Kindern zu erwägen, aber sie ist nicht zwingend vorgeschrieben und es muss ärztlich im Einzelfall beurteilt werden, ob eine EKG-Untersuchung indiziert ist oder auch nicht.
    Mittels der EKG-Untersuchung lassen sich mitunter kardiovaskuläre Auffälligkeiten erfassen, die nicht durch eine Anamnese oder eine körperliche Untersuchung entdeckt werden. Allerdings ist auch die Sensitivität der EKG-Untersuchung beschränkt.
  • Die Behandlung mit Methylphenidat sollte einem Patienten nicht vorenthalten werden, weil kein EKG abgeleitet wurde.
  • Es gibt bislang keine Hinweise darauf, dass Medikamente zur Behandlung von ADHS Herzerkrankungen oder einen plötzlichen Herztod verursachen. Nach gegenwärtigem Wissensstand ist davon auszugehen, dass die Rate plötzlicher kardial bedingter Todesfälle unter medikamentöser Therapie mit Stimulanzien oder Atomoxetin gegenüber der Rate der unbehandelten Bevölkerung nicht erhöht ist. Allerdings können diese Medikamente die Herzfrequenz und den Blutdruck geringfügig erhöhen oder vermindern. Diese Nebenwirkungen sind in der Regel ohne klinische Bedeutung, sollten jedoch bei Kindern mit Herzkrankheiten besonders sorgfältig kontrolliert werden, soweit dies vom Arzt als notwendig erachtet wird.
  • Bei Kindern mit manifesten Herzerkrankungen oder prädisponierenden Faktoren für einen plötzlichen Herztod sollte die medikamentöse Therapie einer ADHS mit einem kinderkardiologisch erfahrenen Kollegen erörtert und überwacht werden. Aber auch für Kinder mit angeborenen Herzerkrankungen, die eine medikamentöse Behandlung der ADHS erhalten, gibt es bislang keinerlei Studien oder Daten, die ein erhöhtes Risiko für plötzliche, kardial bedingte Todesfällen zeigen. Etwaige Auffälligkeiten bei der Behandlung solcher Kinder sollten genau dokumentiert werden; entsprechende Fälle sollten auch dem zentralen adhs-netz gemeldet werden.

Klinische Konsequenzen im Erwachsenenalter:
Trotz Entwarnung zur zwingenden Durchführung eines EKG vor Verschreibung von Psychostimulantien durch die kinder- und jugendpsychiatrischen Fachgesellschaften sollte im Erwachsenenalter eine Ableitung veranlasst werden; dies umso dringender, weil Psychostimulantien in dieser Altersgruppe zumeist off-label verordnet werden. Es ist eher die Ausnahme, dass bei längerfristiger Verschreibung von Psychopharmaka im Erwachsenenalter nicht auf ein EKG zurückgegriffen werden kann. Dies wird dann noch wichtiger, wenn Psychostimulantien mit weiteren Psychopharmaka kombiniert werden.

Philip Heiser, Freiburg
Otto Benkert, Mainz

Literatur:
American Academy of Pediatrics/American Heart Association (2008) American Academy of Pediatrics/American Heart Association clarification of statement on cardiovascular evaluation and monitoring of children and adolescents with heart disease receiving medications for ADHD. J Dev Behav Pediatr 29: 335
Gemeinsame Stellungnahme der Leitliniengruppe des European Network for Hyperkinetic Disorders (EUNETHYDIS) und des deutschen zentralen adhs-netzes zur EKG-Ableitung bei Verschreibung von Methylphenidat vom 18.06.2008.
Perrin JM, Friedman RA, Knilans TK, the Black Box Working Group and the Section on Cardiology and Cardiac Surgery (2008) Cardiovascular monitoring and stimulant drugs for attention-deficit/hyperactivity disorder. Pediatrics 122: 451-453.
Vetter, VL, Elia J, Erickson C, Berger S, Blum N, Uzark K, Webb CL (2008) Cardiovascular monitoring of children and adolescents with heart disease receiving stimulant drugs: a scientific statement from the American Heart Association Council on Cardiovascular Disease in the Young Congenital Cardiac Defects Committee and the Council on Cardiovascular Nursing. Circulation 117: 2407-2423.

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