SSRI – neue Daten zum erhöhten Risiko eines Rezidivs einer intrakraniellen Blutung

Insbesondere für Antidepressiva mit starker Hemmung der Serotoninwiederaufnahme scheint aufgrund ihrer Wirkung auf die Thrombozytenaggregation insgesamt ein geringfügig erhöhtes Risiko für spontane intrakranielle Blutungen (ICB) zu bestehen (siehe Kap. 1.5.3 im Kompendium). Nun zeigt eine kürzlich publizierte Studie entsprechend auch bei Patienten mit ICB ein erhöhtes Risiko einer erneuten ICB bei Einnahme von SSRI auf (Kubiszewski et al., 2021).
In die Studie wurden 1279 Patienten mit einer primären ICB eingeschlossen und longitudinal hinsichtlich des Auftretens einer erneuten ICB und depressiver Symptome untersucht. Berücksichtigt wurden in Subgruppenanalysen zusätzlich auch andere Faktoren, die mit einem hohen Risiko einer erneuten ICB einhergehen wie lobäre intrakranielle Blutung (als Hinweis auf eine nicht hypertensive Ursache und möglicherweise zugrundeliegende zerebrale Amyloidangiopathie), Apolipoprotein E2/E4 Genotyp (als Hinweis für eine zerebrale Amyloidangiopathie), Vorgeschichte einer ICB, einer transitorischen ischämischen Attacke (TIA) oder eines ischämischen Schlaganfalls und Ethnie. 128 Patienten erlitten im Beobachtungszeitraum eine erneute intrakranielle Blutung; der Zeitraum bis zum Auftreten einer erneuten ICB betrug im Mittel 53.2 Monate. 766 Patienten erhielten die Diagnose einer Depression. Insgesamt 281 Patienten nahmen SSRI ein, davon 111 bereits vor Studieneinschluss und 170 Patienten nach Studieneinschluss. Depressive Episoden in der Vorgeschichte, ischämische Schlaganfälle oder TIA in der Vorgeschichte sowie größere Funktionseinschränkungen anhand der modifizierten Rankin Scale waren mit einer höheren Wahrscheinlichkeit der Einnahme von SSRI nach ICB verbunden. Die Einnahme von SSRI erwies sich als Risikofaktor für eine erneute ICB (subhazard ratio (sHR) 1.31; 95%CI 1.08-1.59) neben anderen Risikofaktoren wie Vorgeschichte einer ICB (sHR 3.11; 95%CI 1.48-6.52), lobäre Blutung (sHR 2.19; 95%CI 1.25-3.83) oder ApoE Status (sHR 1.35; 95%CI 1.02-2.87). Bei Patienten, die aufgrund von Risikofaktoren ein erhöhtes Risiko für ein Rezidiv einer ICB aufwiesen, zeigte sich unter SSRI eine stärkere Risikoerhöhung für eine erneute ICB (sHR 1.79; 95% CI 1.22-2.64) als für Patienten ohne einen solchen Risikofaktor (sHR 1.20; 95%CI 1.01-1.42). In der Gruppe der Hoch-Risiko-Patienten war die Rate an Rezidiven einer ICB 6.1% jährlich mit SSRI und 3.8% jährlich ohne SSRI; in der Gruppe der Patienten mit niedrigem Risiko 2.9% jährlich mit SSRI und 2.3% jährlich ohne SSRI. Dadurch, dass das Vorliegen von Risikofaktoren für intrakranielle Blutungen gleichzeitig auch die Wahrscheinlichkeit für die Einnahme eines SSRI erhöhten, könnte sich ein konfundierender Effekt ergeben, die Autoren konnten aber auch nach einer paarweisen Zuordnung von Risikofaktoren für eine ICB („propensity score matching“) eine anhaltende Assoziation von SSRI mit einem Rezidiv einer ICB aufzeigen. Die Einnahme von SSRI war daneben mit einer höheren Wahrscheinlichkeit einer Remission der Depression assoziiert.

Zusammenfassung und klinische Konsequenzen:

Das Ergebnis eines erhöhten Risikos eines Rezidivs einer intrakraniellen Blutung unter SSRI steht im Einklang mit Studien, die bereits eine Risikoerhöhung für eine erste intrakranielle Blutung unter SSRI aufgezeigt haben (siehe Kap. 1.5.3 des Kompendiums). Die Risikoerhöhung wird dabei in Zusammenhang mit der bekannten thrombozytenaggregationshemmenden Wirkung von SSRI gesehen.

Wichtig ist es, prinzipiell immer die Alteration der Thrombozytenfunktion mit in der Konsequenz Erhöhung der Blutungsneigung durch Antidepressiva mit Hemmung der Serotoninwiederaufnahme bei Therapieentscheidungen mit einzubeziehen. Dies sollte bei der Auswahl eines Antidepressivums neben anderen möglichen Nebenwirkungen individuell gewichtet mit einfließen. Bei Patienten mit einem erhöhten Risiko für Blutungen (insbesondere bei Blutungen in der Vorgeschichte, gleichzeitiger Thrombozytenaggregationshemmung oder Antikoagulation) sollten, wenn irgend möglich, Substanzen mit fehlender relevanter Affinität zum Serotonintransporter gewählt werden (siehe Kap. 1.5.3 im Kompendium; Maßnahmen zur Risikoreduktion für Blutungskomplikationen unter Antidepressiva). Finden sich keine Alternativen und ist eine Gabe von Antidepressiva mit relevanter Affinität zum Serotonintransporter trotz Vorliegen eines erhöhten Risikos für Blutungen unumgänglich, kann diese unter strenger Nutzen-Risiko-Abwägung erfolgen. Bei Vorliegen von Risikofaktoren für eine obere gastrointestinale Blutung sollte ein Antazidum verordnet werden.

Literatur

Kubiszewski P, Sugita L, Kourkoulis C, DiPucchio Z, Schwab K, Anderson CD, Gurol ME, Greenberg SM, Viswanathan A, Rosand J, Biffi A. Association of Selective Serotonin Reuptake Inhibitor Use After Intracerebral Hemorrhage With Hemorrhage Recurrence and Depression Severity. JAMA Neurol. 2020 Aug 31;78(1):1–8. doi: 10.1001/jamaneurol.2020.3142. Epub ahead of print. PMID: 32865558; PMCID: PMC7489430.

Francesca Regen, Berlin [francesca.regen@charite.de]

Die Kommentarfunktion ist geschlossen.