Lisdexamfetamin – jetzt auch für Erwachsene zugelassen

Lisdexamfetamindimesilat (LDX, Elvanse) ist seit März 2013 in Deutschland im Rahmen einer therapeutischen Gesamtstrategie zur Behandlung von Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörungen (ADHS) bei Kindern ab einem Alter von 6 Jahren zugelassen, wenn das Ansprechen auf eine zuvor erhaltene Behandlung mit Methylphenidat als klinisch unzureichend angesehen wird (s. News vom 18.12.2013: http://www.kompendium-news.de/2013/12/lisdexamfetamin-neue-therapieoption-fur-kinder-und-jugendliche-mit-adhs).
Seit Februar 2019 ist Elvanse Adult für erwachsene Patienten in Deutschland zugelassen und im Mai 2019 wurde es im Markt eingeführt. In anderen europäischen Ländern und in den USA ist LDX für die Behandlung von Erwachsenen mit ADHS schon seit mehreren Jahren zugelassen.

Die neuen S3-Leitlinien empfehlen als erste Option bei Erwachsenen mit ADHS eine Behandlung mit Psychostimulanzien (BtM-pflichtige Verschreibung). Unter den empfohlenen Psychostimulanzien sind die für Erwachsene zugelassenen Wirkstoffe Methylphenidat und Lisdexamfetamin subsumiert (Banaschewski et al., 2018).

Elvanse Adult ist ein pharmakologisch inaktives Prodrug. Nach oraler Anwendung wird Elvanse schnell im Gastrointestinaltrakt resorbiert und primär von Erythrozyten zu Dexamfetamin hydrolysiert, welches dann für die Wirkung des Arzneimittels verantwortlich ist. (s. News vom 18.12.2013):

Elvanse Adult wird im Rahmen einer therapeutischen Gesamtstrategie zur Behandlung von ADHS bei Erwachsenen angewendet. In Deutschland sind 30 mg (entspr. 8.9 mg Dexamfetamin), 50 mg (entspr. 14.8 mg Dexamfetamin) und 70 mg (entspr. 20.8 mg Dexamfetamin) Hartkapseln erhältlich Die Initialdosis beträgt 30 mg einmal täglich morgens. Die Dosis kann in wöchentlichen Abständen in Schritten von jeweils 20 mg erhöht werden. Elvanse Adult ist in der niedrigsten wirksamen Dosierung einzunehmen. Die höchste empfohlene Dosis beträgt 70 mg/Tag.

Vor einer Verordnung ist es notwendig, den Patienten hinsichtlich seines kardiovaskulären Status einschließlich Blutdruck und Herzfrequenz in der Ausgangslage zu beurteilen. Eine umfassende Anamnese hat Begleitmedikationen, frühere und aktuelle internistische und psychiatrische Begleiterkrankungen oder Symptome, familienanamnestisch bekannte plötzliche kardiale/unerwartete Todesfälle sowie eine exakte Erfassung des Körpergewichts vor der Behandlung zu umfassen. Wie bei anderen Stimulanzien ist das Potenzial für Missbrauch, Fehlgebrauch oder Zweckentfremdung von Elvanse Adult vor der Verordnung zu bedenken. Blutdruck und Puls sollten bei jeder Dosisanpassung und mindestens alle sechs Monate dokumentiert werden. Die Entwicklung neuer oder die Verschlechterung bereits bestehender psychiatrischer Erkrankungen ist bei jeder Dosisanpassung und dann mindestens alle sechs Monate und bei jedem Kontrolltermin zu erfassen. Die Patienten sind hinsichtlich des Risikos von Zweckentfremdung, Fehlgebrauch und Missbrauch von Elvanse Adult zu überwachen. Die medikamentöse Behandlung von ADHS kann über längere Zeit erforderlich sein. Einmal jährlich muss der Nutzen von Elvanse Adult neu bewertet werden, indem ein behandlungsfreier Zeitabschnitt einlegt wird, um das Verhalten des Patienten ohne medikamentöse Behandlung zu beurteilen.

Die Wirksamkeit und Sicherheit von LDX wurde in mehreren doppelblind, randomisierten und Placebo-kontrollierten Studien bei Erwachsenen (18 – 55 Jahre) mit ADHS untersucht (Adler et al. 2008; Adler et al., 2013; Brams et al., 2012, Wigal et al., 2010).

Adler et al. (2008) untersuchten 420 Patienten mit mittel- bis schwergradigen ADHS über eine Dauer von 4 Wochen. Am Ende der Studie zeigten sich folgende Ergebnisse: In der Skala ADHS-RS kam es unter Placebo zu einer Reduktion um 8.2 Punkte, unter LDX 30 mg um 16.2 Punkte, unter 50 mg LDX um 17.4 Punkte und unter 70 mg um 18.6 Punkte (p < .0001 vs. Placebo). Im CGI-I zeigte sich ebenfalls eine signifikante Besserung unter LDX: Placebo 29%, LDX 30 mg 57%, LDX 50 mg = 62% und LDX 70 mg 61%. Die signifikante klinische Besserung wurde ab der 1. Woche beobachtet. Die Nebenwirkungen waren generell gering und bestanden v.a. aus trockenem Mund, vermindertem Appetit und Insomnie.

An diese Studie schloss sich eine 12-monatige offene Beobachtungsstudie an (Weisler et al., 2009). 349 Patienten mit ADHS erhielten zunächst 30 mg LDX pro Tag. Die Dosis konnte bis 70 mg auftitriert werden. 191 Patienten (54.7%) beendet die Studie. Eine signifikante Verbesserung in der ADHD-RS war ab der 1. Woche bis zum Endpunkt (24.8 Punkte) zu verzeichnen. Die häufigsten Nebenwirkungen waren obere Atemwegsinfektionen (21.8%), Insomnie (19.5%), Kopfschmerzen (17.2%), trockener Mund (16.6%), verminderter Appetit (14.3%) und Irritabilität (11.2%). Am Endpunkt kam es zu leichten aber signifikanten Erhöhungen des Pulses und des Blutdrucks.

In einer weiteren Studie wurde die Aufrechterhaltung der Wirksamkeit von LDX bei Erwachsenen mit ADHS in einer 6-monatigen offenen Studie, woran sich eine 6-wöchige doppelblinde, randomisierte und Placebo-kontrollierte Absetzphase anschloss, untersucht (Brams et al., 2012). 116 Patienten haben an dieser Studie teilgenommen. Vor Beginn der Absetzphase betrug der Wert der ADHD-RS-IV für die LDX- und Placebo-Gruppe jeweils 10,6. Am Ende der Absetzphase zeigten 8,9% der Patienten unter LDX und 75,0% (45/60) unter Placebo einen Rückfall (≥ 50% Zunahme in der ADHD-RS und ≥ 2 Punkte Zunahme in der CGI-S). Die meisten Rückfälle traten in der ersten und zweiten Woche auf. Während der Absetzphase hatten in der LDX-Gruppe 48,2% der Patienten Nebenwirkungen and in der Placebo-Gruppe 30.0%. Die häufigsten Nebenwirkungen waren Kopfschmerzen (14,3% und 5,0%), Insomnie (5,4% und 5,0%) und obere Atemwegsinfektionen (8,9% und 0%).

In einer 6-wöchigen Studie bei Erwachsenen mit ADHS wurde die Wirksamkeit und Wirkungsdauer von LDX in einer simulierten Arbeitsumgebung untersucht (Wigal et al., 2010). Nach einer 4-wöchigen offenen Titrationsphase (30-70 mg LDX) nahmen die Patienten an einer 2-wöchigen doppelblinden, randomisierten und Placebo-kontrollierten Studie mit Crossover-Design teil. Primärer Untersuchungsparameter war der “Permanent Product Measure of Performance (PERMP)”-Wert vor und nach der Tabletten-Gabe. Sekundärer Parameter war der PERMP-Wert unter LDX im Vergleich zu Placebo. Die Messzeitpunkte waren vor der Einnahme und 2 bis 14 Stunden nach der Einnahme. Von 127 randomisierten Patienten konnten 105 Patienten in die Studie eingeschlossen werden und 103 Patienten beendeten die Studie. Unter LDX kam es im Vergleich zu Placebo zu einer signifikanten Verbesserung des PERMP-Wertes um 23,4 Punkte. Die absoluten Werte für jeden Zeitpunkt und die Veränderungen im Vergleich zum PERMP-Wert vor der Tablettengabe waren größer bei allen Werten von 2 bis 14 Stunden nach der Tabletteneinnahme für LDX im Vergleich zu Placebo. Auch die Werte im ADHS-IV waren signifikant unter LDX verbessert (-11.5).

Das Ausmaß der Veränderungen der exekutiven Funktionen unter LDX wurde in einer doppelblinden, randomisierten und Placebo-kontrollierten Studie mittels Eigeneinschätzung mit dem Behavior Rating Inventory of Executive Function-Adult version (BRIEF-A) untersucht. Es nahmen 160 Patienten mit ADHS an dieser Studie teil. Die Studiendauer war 10 Wochen. Die LDX-Gruppe zeigte eine signifikant größere Reduktion am Ende der Studie im Vergleich zum Beginn der Studie als die Placebo-Gruppe in den verschiedenen BRIEF-A Skalen. Am Ende der Studie waren die Werte auf den Skalen unter der Schwelle für klinisch signifikante exekutive Funktionsdefizite in der LDX-Gruppe.

Klinische Konsequenz:

Lisdexamfetamin ist eine neue langwirksame Therapieoption für Erwachsene mit ADHS im Rahmen eines Gesamtbehandlungskonzepts. Eine Wirkdauer für 14 Stunden ist nachgewiesen. Das Suchtpotential ist niedriger wie bei anderen Psychostimulanzien, da es sich um ein inaktives Prodrug handelt. Auf die Psychostimulanzien-typischen Nebenwirkungen muss sorgfältig geachtet werden (Benkert und Hippius, Kompendium der Psychiatrischen Pharmakotherapie, 12. Auflage, S. 849).

Literatur

Adler LA, Dirks B, Deas PF, Raychaudhuri A, Dauphin MR, Lasser RA, Weisler RH (2013) Lisdexamfetamine dimesylate in adults with attention-deficit/ hyperactivity disorder who report clinically significant impairment in executive function: results from a randomized, double-blind, placebo-controlled study. J Clin Psychiatry 74: 694-702

Adler LA, Goodman DW, Kollins SH, Weisler RH, Krishnan S, Zhang Y, Biederman J; 303 Study Group (2008) Double-blind, placebo-controlled study of the efficacy and safety of lisdexamfetamine dimesylate in adults with attention-deficit/hyperactivity disorder. J Clin Psychiatry 69:1364-73.

Banaschewski T (Leitlinienkoordinator), Hohmann S, Millenet S et al (2018) Langfassung der interdisziplinären evidenz- und konsensbasierten (S3) Leitlinie „Aufmerksamkeitsdefizit- / Hyperaktivitätsstörung (ADHS) im Kindes-, Jugend- und Erwachsenenalter“ AWMF-Registernummer 028-045. https://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/028-045l_S3_ADHS_2018-06.pdf

Brams M, Weisler R, Findling RL, Gasior M, Hamdani M, Ferreira-Cornwell MC, Squires L (2012) Maintenance of efficacy of lisdexamfetamine dimesylate in adults with attention-deficit/hyperactivity disorder: randomized withdrawal design. J Clin Psychiatry 73:977-83.

Fachinformation Elvanse Adult, Rote Liste Service GmbH, Mainzer Landstrasse 55, 60329 Frankfurt

Weisler R, Young J, Mattingly G, Gao J, Squires L, Adler L; 304 Study Group.(2009) Long-term safety and effectiveness of lisdexamfetamine dimesylate in adults with attention-deficit/ hyperactivity disorder. CNS Spectr 14:573-85.

Wigal T, Brams M, Gasior M, Gao J, Squires L, Giblin J; 316 Study Group.(2010) Randomized, double-blind, placebo-controlled, crossover study of the efficacy and safety of lisdexamfetamine dimesylate in adults with attention-deficit/hyperactivity disorder: novel findings using a simulated adult workplace environment design. Behav Brain Funct. 2010 Jun 24;6:34.

Philip Heiser Nordhausen/Freiburg [philip.heiser@uniklinik-freiburg.de]
Otto Benkert, Mainz [otto.benkert@t-online.de]

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