SSRI – neue Daten zeigen keine Effekte auf die Rehabilitationsergebnisse nach Schlaganfall

Depressive Symptome nach einem Schlaganfall treten häufig auf und sind mit schlechteren Rehabilitationsergebnissen und einer erhöhten Mortalität assoziiert (s. auch Kap. 1.4.1, S. 30 im Kompendium der Psychiatrischen Pharmakotherapie zur Post-Stroke-Depression). Nachdem vorherige RCT und Metaanalysen positive Effekte von SSRI auf die Rehabilitation nach Schlaganfall auch bei nicht depressiven Patienten gefunden hatten [1, 2], die auf neuroprotektive und die Neuroregeneration fördernde Eigenschaften von SSRI zurückgeführt wurden, konnten zwei kürzlich publizierte, große RCT keine positiven Effekte von Citalopram bzw. Fluoxetin auf das Rehabilitationsergebnis bei nicht depressiven Patienten mit akutem Schlaganfall aufzeigen [3, 4].
In der TALOS Studie („The Efficacy of Citalopram Treatment in Acute Stroke“), einer placebokontrollierten, randomisierten Studie wurde die Wirksamkeit von Citalopram in einer Dosierung von 10-20 mg/d (10 mg/d ab einem Alter >65 Jahren oder bei eingeschränkter Leber- oder Nierenfunktion) beginnend innerhalb von 7 Tagen nach akuten Schlaganfall bei 642 nichtdepressiven Patienten über einen Zeitraum von 6 Monaten untersucht [3]. Primäre Endpunkte waren zum einen die Veränderung der funktionellen Behinderung vom 1. zum 6. Monat nach dem Ereignis als auch die Häufigkeit vaskulärer Ereignisse (betrachtet wurden transitorische ischämische Attacken (TIA) bzw. erneute Schlaganfälle, Myokardinfarkte oder Todesfälle aufgrund kardiovaskulärer Ereignisse) über 6 Monate. Die frühe Behandlung mit Citalopram erbrachte keine signifikante Verbesserung des funktionellen Outcomes bei nichtdepressiven Schlaganfallpatienten innerhalb der ersten 6 Monate. So zeigten 160 (50%) der Patienten unter Citalopram im Vergleich zu 136 (42%) unter Placebo eine Verbesserung der funktionellen Behinderung von Monat 1 zu 6 (OR 1.27; 95% CI 0.92-1.74; p=0.057). Unter Ausschluss von Patienten, die die Studie vorzeitig innerhalb von 31 Tagen verlassen hatten (n=90), ergab sich eine OR von 1.37 (95% CI 0.97.1.91; p=0.07). Die Verträglichkeit von Citalopram war gut und das Risiko für ein kardiovaskuläres Ereignis war vergleichbar unter Citalopram und Placebo. So erlitten über einen mittleren Beobachtungszeitraum von 150 Tagen 23 Patienten (7%) unter Citalopram und 26 Patienten (8%) unter Placebo eines der genannten kardiovaskulären Ereignisse. Depressive Symptome zeigten sich unter Citalopram signifikant seltener im Vgl. zu Placebo (10% vs. 56 %; p=0.007).

Auch in einer weiteren, aktuellen, groß angelegten, placebokontrollierten Studie fand sich kein positiver Effekt eines SSRI, hier Fluoxetin, auf die funktionelle Behinderung bei nicht depressiven Patienten nach Schlaganfall [4]. So zeigte sich in der FOCUS-Studie („Fluoxetine Or Control Under Supervision“), bei der 3127 nicht depressive Patienten mit einem mittleren Alter von 71,4 Jahren randomisiert 20 mg Fluoxetin oder Placebo beginnend 2-15 Tage nach einem akuten Schlaganfall über einen Zeitraum von 6 Monaten erhielten, ebenfalls kein signifikanter Vorteil für Fluoxetin in den primären Endpunkten Rehabilitation und Selbständigkeit (OR 0.951; 95% CI 0.839-1.079, p=0.439). Studienteilnehmer unter Fluoxetin entwickelten über den Studienzeitraum von 6 Monaten zwar signifikant seltener Depressionen (13.43% vs. 17.21%; Differenz 3.78%; p=0.0033), wiesen jedoch eine signifikant erhöhte Rate an Frakturen auf (2.88% vs. 1.47%; Differenz 1.41%; p=0.0070). Blutungskomplikationen traten nicht signifikant häufiger auf.

Klinische Konsequenzen:

Nachdem u.a. die vielversprechenden Ergebnisse der FLAME-Studie und die Ergebnisse einer Cochrane Metaanalyse [1, 2] dazu geführt hatten, dass im Einzelfall nach sorgfältiger Nutzen-Risiko-Abwägung ein frühzeitiger Einsatz von SSRI auch bei nicht depressiven Patienten nach Schlaganfall im Hinblick auf eine günstige Beeinflussung des Rehabilitationsverlaufs und die Prophylaxe einer Post-Stroke-Depression erwogen werden konnte, ändern die beiden aktuellen, groß angelegten Studien [3, 4] diese Nutzen-Risiko-Bewertung eines frühzeitigen Einsatzes von SSRI bei nicht depressiven Patienten nach Schlaganfall. Bei Fehlen depressiver Symptome ist anhand der aktuellen Daten eine Verordnung von SSRI nach Schlaganfall nicht sinnvoll. Eine Post-Stroke-Depression hingegen sollte weiterhin konsequent behandelt werden. Die Studiendaten zeigen diesbezüglich eine gute Verträglichkeit von SSRI bei Patienten nach Schlaganfall insbesondere in Bezug auf vaskuläre Ereignisse und Blutungskomplikationen.

Literatur:

[1] Chollet F, Tardy J, Albucher JF, Thalamas C, Berard E, Lamy C, Bejot Y, Deltour S, Jaillard A, Niclot P, Guillon B, Moulin T, Marque P, Pariente J, Arnaud C, Loubinoux I. Fluoxetine for motor recovery after acute ischaemic stroke (FLAME): a randomised placebo-controlled trial. Lancet Neurol. 2011; 10(2):123-30.
[2] Mead GE, Hsieh CF, Lee R, Kutlubaev MA, Claxton A, Hankey GJ, Hackett ML. Selective serotonin reuptake inhibitors (SSRIs) for stroke recovery. Cochrane Database Syst Rev. 2012 Nov 14;11:CD009286.
[ 3] Kraglund KL, Mortensen JK, Damsbo AG, Modrau B, Simonsen SA, Iversen HK, Madsen M, Grove EL, Johnsen SP, Andersen G. Neuroregeneration and Vascular Protection by Citalopram in Acute Ischemic Stroke (TALOS). Stroke. 2018;49(11):2568-2576.
[4] FOCUS Trial Collaboration. Effects of fluoxetine on functional outcomes after acute stroke (FOCUS): a pragmatic, double-blind, randomised, controlled trial. Lancet. 2019 Jan 19;393(10168):265-274.

Francesca Regen, Berlin [francesca.regen@charite.de]
Otto Benkert, Mainz [otto.benkert@t-online.de]

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