Melatonin – jetzt auch für Kinder und Jugendliche zugelassen

Melatonin steht für Patienten ab 55 Jahre unter dem Handelsnamen Circadin zur Behandlung der Insomnie zur Verfügung. Seit Januar 2019 ist ein retardiertes Melatonin (Handelspräparat Slenyto) für zwei mit Insomnie einhergehende Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen im Alter zwischen 2 und 18 Jahren zugelassen und erstattungsfähig.

Die Zulassung dieses Arzneimittels wurde im Rahmen einer Pediatric use Marketing Authorisation (PUMA) erteilt. PUMAs können für zugelassene Arzneimittel gewährt werden, die speziell für Kinder entwickelt wurden und nicht mehr unter Patentschutz stehen. PUMAs zielen darauf ab, die Erforschung bestehender Arzneimittel zur Verbesserung der Behandlung von Kindern anzuregen, indem die Arzneimittel zehn Jahre lang auf dem Markt geschützt werden.

Indikation für Slenyto ist Insomnie bei Autismus-Spektrum-Störung und bei Smith-Magenis-Syndrom, einer unter anderem mit Lern- und kognitiven Behinderungen, Lippen- und/oder Gaumenspalten, Skoliose und Herzfehler einhergehenden Erberkrankung. Patienten mit Autismus zeigen häufig eine reduzierte Melatonin-Ausschüttung und auch bei Patienten mit einem Smith-Magenis-Syndrom sind Veränderungen des Melatonin-Stoffwechsels beschrieben (Tordjman et al., 2013).

Neunzehn randomisierte kontrollierte Studien hatten unter Melatonin signifikante Verbesserungen von Schlaflatenz, Schlafdauer und der wach verbrachten Zeit nach Schlafbeginn gezeigt. Diese Verbesserungen waren bei Kindern mit Autismus und anderen Entwicklungsstörungen am stärksten ausgeprägt (MacDonagh et al, 2019). In einer Hauptstudie bei 125 Patienten schliefen Patienten, die Slenyto 13 Wochen lang erhielten, im Durchschnitt 51 Minuten pro Nacht länger, verglichen mit zusätzlichen 19 Minuten unter Placebo. Darüber hinaus schliefen Kinder, die Slenyto einnahmen, ca. 38 Minuten früher als normal ein, während Kinder, die Placebo erhielten, 13 Minuten früher einschliefen. Alle Patienten hatten zuvor ohne Erfolg andere Maßnahmen ausprobiert, wie z. B. das Einhalten einer regelmäßigen Schlafroutine (EMA, 2018).

Bei vielen anderen kinder- und jugendpsychiatrischen Störungsbildern, die häufig mit Schlafstörungen einhergehen, ist die Verschreibung von Melatonin klinisch sinnvoll, allerdings besteht hierfür eine off-label Indikation. Im klinischen Kontext ist die Behandlung der Schlafprobleme bei Kindern und Jugendlichen mit ADHS relevant, besonders wenn noch Komorbiditäten im Sinne von sozialen und affektiven Auffälligkeiten vorliegen. Masi et al. (2019) konnten zeigen, dass bei Kindern mit ADHS die mit Methylphenidat behandelt wurden, die Gabe von Melatonin signifikant die Schlafprobleme verbesserte und die Komorbiditäten ohne Einfluss auf das verbesserte Schlafverhalten waren.

Slenyto ist als Tablette (1 mg und 5 mg) erhältlich. Die normale Dosis beträgt 2 mg, die 30 Minuten bis eine Stunde vor dem Zubettgehen eingenommen wird. Die Tablettengröße ist kindgerecht. Bei nicht ausreichender Wirkung kann die Dosis bis auf maximal 10 mg erhöht werden. Die Behandlung sollte vom Arzt regelmäßig (mindestens alle 6 Monate) überprüft und nur bei Erfolg für den Patienten fortgesetzt werden (Gelbe Liste, 2018).

Sehr häufige Nebenwirkungen von Slenyto sind Schläfrigkeit, Müdigkeit, Stimmungsschwankungen, Kopfschmerzen, Reizbarkeit, Aggression und morgendliche Müdigkeit.

Literatur

European Medicine Agency (2018) Slenyto (Melatonin), Übersicht über Slenyto und warum es in der EU zugelassen ist. EMA/570422/2018, EMEA/H/C/
Masi G, Fantozzi P, Villafranca A et al. (2019) Effects of melatonin in children with attention-deficit/hyperactivity disorder with sleep disorders after methylphenidate treatment. Neuropsychiatr Dis Treat 15:663-667.

McDonagh MS,Holmes R,Hsu F (2019) Pharmacologic Treatments for Sleep Disorders in Children: A Systematic Review. J Child Neurol 34:237-247.

Reifferscheid, Elke (2018) Slenyto – EU-Zulassung für pädiatrisches Melatonin gegen Insomnie bei Kindern mit Autismus. Gelbe Liste.

Tordjman S, Najjar I, Bellissant E et al. (2013) Advances in the Research of Melatonin in Autism Spectrum Disorders: Literature Review and New Perspectives.
Int J Mol Sci 14: 20508–20542.

Axel Steiger, Kaiserslautern [profsteiger@gmail.com]
Philip Heiser Nordhausen/Freiburg [philip.heiser@uniklinik-freiburg.de]
Otto Benkert, Mainz [otto.benkert@t-online.de]

Melatonin – Stellungnahme der AkdÄ zu Slenyto

(frühe Nutzenbewertung § 35a SGB V)
Die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) hat in einer frühen Nutzenbewertung festgestellt, dass für die Behandlung von Insomnie bei Kindern und Jugendlichen mit Autismus-Spektrum-Störungen (ASS) und/oder Smith-Magenis-Syndrom (SMS), wenn Schlafhygienemaßnahmen unzureichend waren, mit retardiertem Melatonin auf Basis der vorgelegten Daten kein Zusatznutzen zu sehen ist.

Die eingereichten Daten aus der Zulassungsstudie reichen nach Ansicht der AkdÄ nicht aus, um den Zusatznutzen von retardiertem Melatonin in dieser Indikation zu beurteilen, da die in den Leitlinien spezifizierte Best Supportive Care (BSC) nicht umgesetzt worden sei (AkdÄ. 2019).

Dabei sei, wie von der Arbeitsgruppe Pädiatrie der Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin e. V. (DGSM) gefordert, „… zu berücksichtigen, dass Melatonin nicht im Sinne einer primären Monotherapie eingesetzt werden sollte, sondern immer erst dann in Betracht gezogen werden sollte, wenn das Problem noch besteht, obwohl Hinweise zur Schlafhygiene gegeben wurden und geprüft wurde, in welchem Umfang eine psychologische Behandlung zur Linderung oder Beseitigung des Problems beitragen kann“ (Kirchhoff et al 2018).

Es wäre, so die AkdÄ, wünschenswert diese Daten in einer Studie mit adäquater BSC zu generieren, da dies auch für die betroffenen Patienten relevant ist.

Den vom Hersteller vorgelegten Dokumenten ist jedoch die Feststellung zu entnehmen, dass aufgrund der chronischen Grunderkrankungen bereits ein ganzheitlicher und kontinuierlicher Betreuungsbedarf für die Kinder und Jugendlichen im Anwendungsgebiet von Slenyto besteht. Diese erhalten somit neben Schlafhygienemaßnahmen weitere Psychotherapien, die aber primär auf die Behandlung der Grunderkrankungen abzielen und nicht auf die der Schlafstörungen. Folglich können weitere Psychotherapien, welche die Patienten erhalten, nicht Teil der zweckmäßigen Vergleichstherapie sein, da sie nicht eindeutig der Behandlung von Schlafstörungen zuzuordnen sind. Entsprechend ist die Verhaltenstherapie in Form von Schlafhygienemaßnahmen eine nicht-medikamentöse Behandlung, die im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung erbringbar ist. Die nicht-medikamentösen verhaltenstherapeutischen Maßnahmen (Schlafhygiene) sind für die Patienten im AWG jedoch nur unzureichend wirksam (InfectoPharm 2013).

Über den Zusatznutzen beschließt der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) voraussichtlich im Juli 2019.

Literatur

AkdÄ Stellungnahme zu Melatonin (2019) (Schlafstörungen bei Kindern und Jugendlichen mit Autismus-Spektrum-Störung und/oder Smith-Magenis-Syndrom), Nr. 750, A19-04, Version 1.0, Stand: 11.04.2019
InfectoPharm Arzneimittel und Consilium GmbH (2013).PedPR Melatonin (Slenyto®). Dokumentvorlage Dossier zur Nutzenbewertung gemäß § 35a SGB V, Version vom 18.04.2013
Kirchhoff F, Paditz E, Thomas Erler T et al,(20018) Einsatz von Melatonin bei Kindern mit Schlafstörungen – Stellungnahme der Arbeitsgruppe Pädiatrie der Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin e.V. (DGSM) 2018 (entnommen www.dgsm.de)

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