Vareniclin – Alkohol, ein Interaktionsrisiko?

Die amerikanische Food and Drug Administration (FDA) hat im März 2015 eine Warnung veröffentlicht, dass die Einnahme von Vareniclin (Champix® , Hersteller Pfizer) die Reaktion auf Alkohol verändern kann. (FDA 2015).
Vareniclin ist ein partieller Agonist an nikotinischen Azetycholinreptoren mit hoher Affinität zum α4β2-Subtyp. Es ist zugelassen zur Raucherentwöhnung. In der FDA Adverse Event Reporting System (FAERS) Datenbank beschreiben Patienten, die während der Behandlung mit Vareniclin Alkohol tranken, eine verringerte Toleranz gegenüber Alkohol (FDA, 2015). Es trat ungewöhnliches oder aggressives Verhalten auf, oder sie konnten sich nicht an Dinge erinnern, die geschehen waren. Die FDA empfiehlt daher, den Alkoholkonsum während der Behandlung mit Vareniclin zur Raucherentwöhnung einzuschränken.
Der Bericht wirft die Frage auf, ob es eine Wechselwirkung zwischen Vareniclin und Alkohol gibt. Nach Fachinformationen für Champix® gibt es nur begrenzte klinische Daten. Sowohl Alkohol als auch Vareniclin haben sedierende Wirkungen, die sich theoretisch addieren können. Aus den Wirkmechanismen von Vareniclin über das cholinerge System und von Alkohol über das GABAerge und glutamaterge System, lässt sich pharmakologisch nur indirekt auf pharmakodynamische Wechselwirkungen schließen.

Tierexperimentelle und klinische Studien haben gezeigt, dass Vareniclin nicht nur zur Raucherentwöhnung, sondern auch zum Verminderung des Alkoholkonsums wirksam ist (Rahman et al. 2015; Hendrickson et al. 2010; Litton et al. 2013; Erwin & Slayton, 2014). Da starke Raucher häufig auch starke Trinker sind, erscheint Vareniclin insbesondere bei solchen Patienten eine sinnvolle Behandlungsoption zu sein. In einer kürzlich erschienen Übersicht zur Wirksamkeit von Vareniclin bei Alkoholabhängigkeit wurden 8 Studien analysiert (Erwin & Slaton, 2014). Die Autoren kommen insgesamt zu dem Schluss, dass Vareniclin zwar nicht die Abstinenzraten verbessert, aber Alkoholverlangen (Craving) abschwächt und zu einer Trinkmengenreduktion führt, also als sinnvolle Behandlungsoption bei Alkoholabhängigkeit erscheint. In einer der analysierten Studien an 15 Probanden (Childs et al. 2012) wurde auch der Effekt von Vareniclin auf ein alkoholisches Getränk analysiert. Danach zeigte sich abgeschwächtes „drug-liking“ nach 0,4 g Alkohol/ kg Körpergewicht (entsprechen ca. 0,3 l Wein mit 12% Ethanol oder 0,7 l Bier mit 4,8% Ethanol), allerdings nicht nach 0,8 g/kg (ca. 0,6 l Wein oder 1,4 l Bier). In einer anderen Studie, die nicht im Review von Erwin und Slaton (2014) erfasst worden war, wurde an stark trinkenden Rauchern der Effekt von Vareniclin in Kombination mit Naltrexon untersucht. Ray und Mitarbeiter (2015) fanden eine positive Wirkung der Kombinationsbehandlung, nämlich eine Reduktion der Trinkmenge. In einer Kontrollgruppe wurde dabei auch der Effekt von Vareniclin auf Alkoholwirkungen (im Mittel bei 0,06 g/dl Atemalkohol) untersucht. Im Vergleich mit einer Placebo-behandelten Gruppe wurden geringfügige aber signifikante Veränderungen von Alkoholeffekten durch Vareniclin auf die Stimmung berichtet, einmal eine Abnahme der Anspannung (Tension) und eine gesteigerte Spannkraft.

Die meisten Untersuchungen, die man auf der Suche nach möglichen Wechselwirkungen zwischen Vareniclin und Alkohol identifiziert, haben als wesentliches Untersuchungsziel die Verminderung des Alkoholkonsums durch Vareniclin. Sie beachten in der Regel keine Interaktionen zwischen Vareniclin und Alkohol. Daher gibt es für Vareniclin, ebenso wie für die meisten Psychopharmaka, keine systematischen Wechselwirkungsstudien mit Alkohol. Grundlegende Untersuchungen (Hendrickson et al. 2013) und die wenigen Studien, die Wechselwirkungsffekte erfasst haben (Childs et al. 2012; Ray et al. 2015), weisen trotz schwacher Datenlage und kleiner Fallzahlen darauf hin, dass man eine modifizierende Wirkung von Vareniclin auf Alkohol induzierte Reaktionen annehmen kann. Wechselwirkungen zwischen Vareniclin und Alkohol, auf die die von der FDA berichteten Einzelfälle hinweisen, sind demnach wahrscheinlich. Wahrscheinlich handelt es sich um pharmakodynamische Wechselwirkungen.
Zu beachten sind weiterhin die in der Analyse von klinischen Studiendaten und Post-Marketing-Beobachtungen aufgetretenen vereinzelten Hinweise auf ein erhöhtes Krampfanfallsrisiko unter Vareniclinbehandlung. Entsprechend des FDA– Labels soll Vareniclin vorsichtig bei Patienten mit einem bekannten Anfallsleiden oder Risikofaktoren für eine geminderte Krampfschwelle eingesetzt werden (FDA 2015). Hiervon ist bei alkoholabhängigen Patienten unter Alkoholreduktion und in früher Abstinenz auszugehen.

Klinische Konsequenzen:

Da Raucher, insbesondere starke Raucher, häufig Alkohol konsumieren, ist davon auszugehen, dass viele Raucher, die Vareniclin zur Verminderung ihres Zigarettenkonsums einnehmen, Vareniclin und Alkohol kombinieren. Es bedarf daher dringend weiterer Untersuchungen von Wechselwirkungen zwischen Vareniclin und Alkohol. Solche Studien sind von der FDA angestoßen worden. So lange die Datenlage bezüglich Wechselwirkungsrisiken zwischen Vareniclin und Alkohol schwach ist, wird bei Einnahme von Vareniclin empfohlen, den Alkoholkonsum während einer Behandlung mit Vareniclin zu reduzieren. Patienten mit bekannter Abhängigkeit von Alkohol sollte die Einnahme von Vareniclin erst unter stabiler Abstinenz, also nach Abschluss des Alkoholenzugssyndoms, empfohlen werden. Die Patienten sollten über das potenzielle Risiko aufgeklärt werden.

Christoph Hiemke, Mainz; hiemke@uni-mainz.de
Falk Kiefer, Mannheim; falk.kiefer@zi-mannheim.de

Literatur:

Childs E, Roche DJ, King AC, de Wit H. Varenicline potentiates alcohol-induced negative subjective responses and offsets impaired eye movements. Alcohol Clin Exp Res. 2012 May;36(5):906-14.
Erwin BL, Slaton RM. Varenicline in the treatment of alcohol use disorders. Ann Pharmacother. 2014 Nov;48(11):1445-55.
FDA-Mitteilung http://www.fda.gov/downloads/Drugs/DrugSafety/UCM436960.pdf )
Hendrickson LM, Guildford MJ, Tapper AR. Neuronal nicotinic acetylcholine receptors: common molecular substrates of nicotine and alcohol dependence. Front Psychiatry. 2013 Apr 30;4:29.
Hendrickson LM, Zhao-Shea R, Pang X, Gardner PD, Tapper AR. Activation of alpha4* nAChRs is necessary and sufficient for varenicline-induced reduction of alcohol consumption. J Neurosci. 2010 Jul 28;30(30):10169-76.
Litten RZ, Ryan ML, Fertig JB, Falk DE, Johnson B, Dunn KE, Green AI, Pettinati HM, Ciraulo DA, Sarid-Segal O, Kampman K, Brunette MF, Strain EC, Tiouririne NA, Ransom J, Scott C, Stout R; NCIG (National Institute on Alcohol Abuse and Alcoholism Clinical Investigations Group) Study Group. A double-blind, placebo-controlled trial assessing the efficacy of varenicline tartrate for alcohol dependence. J Addict Med. 2013 Jul-Aug;7(4):277-86.
Rahman S, Engleman EA, Bell RL. Nicotinic receptor modulation to treat alcohol and drug dependence. Front Neurosci. 2015 Jan 15;8:426.
Ray LA, Courtney KE, Ghahremani DG, Miotto K, Brody A, London ED. Varenicline, low dose naltrexone, and their combination for heavy-drinking smokers: human laboratory findings. Psychopharmacology (Berl). 2014 Oct;231(19):3843-53.

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