Paliperidon-Palmitat – Zulassung zur Erhaltungstherapie bei Patienten mit Schizophrenie

Seit März 2011 ist Paliperidon-Palmitat (XEPLION®, Hersteller: Fa. Janssen-Cilag), ein monatlich zu verabreichendes, langwirkendes injizierbares Antipsychotikum, zur Behandlung der Schizophrenie europaweit zugelassen und steht seit kurzem auch für die klinische Behandlung zur Verfügung.

 

Der Wirkstoff Paliperidon ist bekannt und in oraler Form (INVEGA®) zur Behandlung von schizophrenen und schizomanischen Störungen bereits zugelassen, unterliegt jedoch in Deutschland seit November 2009 der sogenannten Festbetragsregelung (gemeinsame Preisgruppe für orales Risperidon und orales Paliperidon) bezüglich der Erstattung durch die Krankenkassen. Eine Festbetragsregelung für XEPLION® ist allenfalls mit der Einführung von Generika des RISPERDAL® CONSTA® in einigen Jahren zu erwarten. Aufgrund der Preisgleichheit ist dann davon auszugehen, dass beide Präparate mit dem gleichen Festbetrag weiter zur Verfügung stehen.

 

Wirkmechanismus

Paliperidon (9-OH-Risperidon, Hauptmetabolit von Risperidon) wirkt als Antagonist an Dopamin-D2- und insbesondere an Serotonin-5HT2A-Rezeptoren. Zudem bestehen antagonistische Wirkungen an α1- und α2-adrenergen sowie an H1-Histamin-Rezeptoren und keine nennenswerte anticholinerge Aktivität.

 

Pharmakokinetik und Wechselwirkungen

Nach intramuskulärer Injektion von XEPLION® wird bereits ab dem 1. Tag Paliperidon freigesetzt und nach etwa 13 Tagen ein Konzentrationsmaximum erreicht. Die Bioverfügbarkeit von Paliperidonpalmitat nach Verabreichung von XEPLION® beträgt 100 %. Das Konzentrationsmaximum nach Deltoid-Injektion ist etwa 28% höher als nach glutealer Injektion, daher werden zwei initiale XEPLION®-Deltoid-Injektionen im Abstand einer Woche (mit 150 bzw. 100mg) empfohlen, bevor ein 4-wöchiges Injektionsintervall begonnen wird.

Die mediane apparente Paliperidon-Halbwertszeit nach Verabreichung von XEPLION® (25-150 mg) lag zwischen 25 und 49 Tagen, der Wirkstoff kann bis zum 4. Monat nach Injektionsende nachweisbar sein.

Der hepatische Metabolismus spielt klinisch keine bedeutende Rolle beim Abbau von Paliperidon (minimale Beteiligung von CYP2D6 und CYP3A4, keine Beteiligung von CYP1A2), die Substanz wird im Wesentlichen renal eliminiert. Hepatische Interaktionsrisiken sind daher nicht bekannt, die gleichzeitige Gabe von Carbamazepin führte zu einer Senkung der Plasmakonzentrationen von Paliperidon von etwa 30-40% und ist am ehesten auf die Induktion des renalen Transportproteins p-Gp zurückzuführen.

Vorsicht ist geboten, wenn XEPLION® zusammen mit Arzneimitteln verordnet wird, die bekanntermaßen das QTc-Intervall verlängern.

 

Klinische Studien

Zur Untersuchung der Wirksamkeit und Verträglichkeit sowie zur Dosierung und Injektionsart von XEPLION® bei Erwachsenen mit Schizophrenie wurde ein umfangreiches klinisches Studienprogramm mit vier Akutstudien, einer Studie zur Erhaltungstherapie und zur Beobachtung von Rückfällen, einer Studie zu Verordnungsempfehlungen und drei Vergleichsstudien mit RISPERDAL® CONSTA® durchgeführt (Produktmonographie 2011; Übersichten:  Citrome L  2010, Int J Clin Pract 64: 216 ;  Owen RT 2010, Drugs Today (Barc) 46: 463).

Die Akutwirksamkeit von XEPLION® im Dosisbereich 25-150mg bei akuten Exazerbationen von Schizophrenien wurde in vier Kurzzeitstudien (9-13 Wochen) gegenüber Placebo nachgewiesen (RCT); die höheren Dosierungen (100-150mg) waren dabei überlegen. Zur Rückfallprophylaxe (24 Wochen doppelblind) wurden Dosierungen zwischen 25 und 100 mg gegenüber Placebo untersucht und waren signifikant überlegen (Reduktion des Rückfallrisikos, NNT 5, 95% CI 4-7).

Die Vergleichbarkeit der Sicherheit und Verträglichkeit von Deltoid- und Gluteus-Injektionen wurde in einer Cross-over-Studie mit verschiedenen Dosierungen von XEPLION® (25-100mg, 25 Wochen) gezeigt.

In einem 53-wöchigen RCT war XEPLION® (Injektionen 50mg Tag 1 und Tag 8, 25-75mg ab Tag 36 und 25-100mg ab Tag 64, zusätzlich orales Placebo) gegenüber RISPERDAL® CONSTA® (orales Risperidon 2-6mg an Tag 1, Injektion 25mg und oral 1-6mg an Tag 8 und Tag 22, Injektionen 25-50mg 2-wöchig und orales Risperidon nach Bedarf ab Tag 36) signifikant unterlegen. Mit einem modifizierten Startschema (XEPLION® initial 150mg an Tag 1 und 100mg an Tag 8 deltoidal, dann in 4-wöchigen Abständen deltoidal oder gluteal) konnte in einem 13-wöchigen RCT und in einer randomisierten 13-wöchigen Vergleichsstudie (chinesische Patienten) die Nicht-Unterlegenheit von XEPLION® gegenüber RISPERDAL® CONSTA® bei Patienten mit Schizophrenie (PANSS Gesamtwert 60-120) gezeigt werden.

Zusammenfassend wurde die Verträglichkeit in den Studien als gut beschrieben, als Nebenwirkungen traten dosisabhängig insbesondere Gewichtszunahme und EPS auf. Irritationen an der Injektionsstelle wurden bei 4-10% der Patienten (Placebo 2%) beobachtet.

 

Indikation und klinische Anwendung

XEPLION® ist indiziert zur Erhaltungstherapie bei erwachsenen Patienten mit Schizophrenie, die auf Paliperidon oder Risperidon eingestellt wurden. Bei bestimmten erwachsenen Patienten mit Schizophrenie und früheren Ansprechen auf orales Paliperidon oder Risperidon kann XEPLION® ohne vorherige Einstellung auf eine orale Behandlung angewendet werden, wenn die psychotischen Symptome leicht bis mittelschwer sind und eine Behandlung mit einem Depot-Antipsychotikum erforderlich ist.

Die EMA unterscheidet nur noch eine Akuttherapie und eine Erhaltungstherapie. Die Indikation zur Erhaltungstherapie wurde aufgrund einer positiven Langzeitstudie (unter Berücksichtigung der Rückfallprophylaxe) erteilt.

 

Die Wirksamkeit und Sicherheit von XEPLION® wurde bei Patienten > 65 Jahre nicht untersucht. Auf das erhöhte Mortalitätsrisiko unter Antipsychotika (Klasseneffekt) und das erhöhte zerebrovaskuläre Risiko bei älteren Patienten, insbesondere mit Demenz,  wird auch in der Fachinformation für XEPLION® hingewiesen.

XEPLION® ist zugelassen als Injektion in den Deltamuskel des Oberarms oder in den Gluteusmuskel des Gesäßes.

 

Dosierung und Anwendungsempfehlung

Die Behandlung mit XEPLION® soll mit einer Dosis von 150 mg am ersten Behandlungstag und 100 mg eine Woche später (Tag 8) begonnen werden. Beide Initialgaben sollten in den Deltoidmuskel verabreicht werden, um schnell therapeutische Konzentrationen zu erreichen. Die empfohlene Erhaltungsdosis beträgt anschließend 75 mg in vierwöchigen Abständen. Einige Patienten können je nach individueller Verträglichkeit und/oder Wirksamkeit auch von niedrigeren oder höheren Dosen innerhalb des zugelassenen und empfohlenen Bereichs von 25 bis 150 mg profitieren. Die Anpassung der Erhaltungsdosis kann monatlich erfolgen.

 

Für Patienten, die übergewichtig oder adipös sind, können Dosen im oberen Bereich erforderlich sein. Bei leichter Niereninsuffizienz muss eine Dosisanpassung von XEPLION® erfolgen, bei mäßiger bis schwerer Niereninsuffizient (GFR < 50ml/min) wird XEPLION® nicht empfohlen. Eine leicht- bis mittelgradige Einschränkung der Leberfunktion erfordert keine Dosisanpassung.

 

Bei der Umstellung von oraler antipsychotischer Medikation auf XEPLION kann am Tag nach der letzten Einnahme eines Antipsychotikums mit dem o.g. Schema begonnen werden (Gopal S et al, 2010, Curr Med Res Opin 26: 377). Bei der Umstellung von einem anderen Depot-Antipsychotikum (einschließlich RISPERDAL® CONSTA®) sollte nach dem letzten Dosisintervall begonnen werden.

Bei Umstellung von RISPERDAL® CONSTA® (25, 37.5, 50mg alle 2 Wochen) werden für XEPLION® die Äquivalenzdosierungen von 50, 75 und 100 mg alle 4 Wochen angegeben.

 

Nebenwirkungsspektrum

Die im Rahmen der klinischen Studien am häufigsten beobachteten Nebenwirkungen waren entsprechend der Fachinformation (Stand März 2011): Sehr häufig Schlaflosigkeit, Kopfschmerzen; häufig: Infektionen der oberen Atemwege, Gewichtszunahme, erhöhte Blutzuckerspiegel, erhöhte Trigylceride, Agitiertheit, EPS (Dystonie, Parkinsonoid, Akathisie, Dyskinesien, Tremor), Schwindel, Somnolenz, Tachykardie, Hypertonie, gastrointestinale Beschwerden (Übelkeit, Erbrechen, Oberbauchschmerzen, Obstipation, Diarrhö), Rücken-, Glieder- und Zahnschmerzen, Asthenie und Fatigue sowie Indurationen und Schmerzen an der Injektionsstelle. Aus präklinischen und klinischen Studien sind des Weiteren deutliche Prolaktinanstiege, insbesondere bei Frauen, unter Paliperidon bekannt (Bishara D, 2010, Neuropsychiatr Dis Treat 6: 561). Paliperidon kann gelegentlich zu Verlängerungen der QTc-Zeit und kardialen Arrhythmien führen.

 

Bewertung

Die Verfügbarkeit von XEPLION® als weitere Depot-Formulierung eines neueren Antipsychotikums erweitert das Spektrum der Behandlungsmöglichkeiten für Patienten mit schizophrenen Störungen.

Die Wirksamkeit von Paliperidon (9-OH-Risperidon) ist nachgewiesen und das Nebenwirkungsspektrum (Prolaktinanstieg, metabolische Risiken, v.a. in höheren Dosierungen auch EPS) sind bekannt. Bei Indikation für ein Depotpräparat kann XEPLION® verschiedene klinisch-praktische Vorteile aufweisen:

-    4-wöchiges Injektionsintervall ohne zusätzliche Überwachungsnotwendigkeit nach den Injektionen bei guter Verträglichkeit

-    geringes hepatisches Interaktionspotential

-    einfache Handhabung: Bei Einhaltung der empfohlenen Aufdosierung (Tag 1: 150 mg, Tag 8: 100 mg Deltoid-Injektionen) keine Notwendigkeit für orale antipsychotische Zusatzmedikation, Fertigspritzen mit unterschiedlichen Dosierungen, Aufbewahrung ohne Kühlung, dünne Injektionsnadeln mit kleinem Injektionsvolumen, Deltoid- oder Gluteal-Injektion.

Die Kosten für XEPLION® liegen auf dem Niveau von RISPERDAL® CONSTA®.

 

 

Matthias J. Müller, Gießen/Marburg

Otto Benkert, Mainz

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