Atomoxetin – Indikation für Erwachsene mit ADHS erweitert

Atomoxetin (Strattera®) ist zur Behandlung der Aufmerksamkeitsdefizit-/ Hyperaktivitätsstörungen (ADHS) bei Kindern ab 6 Jahren und bei Jugendlichen sowie für die ADHS-Weiterbehandlung im Erwachsenenalter im Rahmen eines umfassenden Behandlungsprogramms seit März 2005 in Deutschland zugelassen. Die Behandlung muss von einem Arzt, der über Fachkompetenz in der Behandlung der ADHS verfügt, begonnen und überwacht werden. Im Juni 2013 wurde die Zulassung für den Behandlungsbeginn auch im Erwachsenenalter erteilt.
Der Wirkstoff Atomoxetin ist ein Non-Psychostimulanz, der spezifisch die präsynaptischen Noradrenalintransporter hemmt. Bei Personen bis 70 kg Körpergewicht sollte die Behandlung mit Strattera® mit einer Gesamttagesdosis von etwa 0,5 mg/kg, bei Personen über 70 kg Körpergewicht mit einer Gesamttagesdosis von 40 mg begonnen werden. Die empfohlene Tagesdosis während der Dauerbehandlung beträgt etwa 1,2 mg/kg.

Die wichtigsten Studien zum Wirksamkeitsnachweis von Atomoxetin für Erwachsene mit ADHS waren zwei große multizentrische Studien. Die beiden identischen Studien hatten ein randomisiertes, doppelblindes, placebokontrolliertes Design. In den jeweils 10-wöchigen Studien nahmen in einer Studie 280 und in der anderen Studie 256 Probanden teil. Der primäre Ergebnisparameter war jeweils die Conners’ Adult ADHD Rating Scale, die vom Untersucher bewertet wurde (CAARS-Inv:SV). In beiden Studien reduzierte Atomoxetin sigifikant besser die Symptome der Unaufmerksamkeit sowie die Hyperaktivität und Impulsivität als Placebo. In beiden Studien lag die Abbruchrate für Atomoxetin bei unter 10 %. Signifikant häufiger traten unter Atomoxetin folgende Nebenwirkungen auf: trockener Mund, Insomnie, Appetitverminderung und Erektionsstörungen. In beiden Studien kam es zu einer signifikanten Erhöhung der Herzfrequenz unter Atomoxetin; der Blutdruck war nicht signifikant verändert (Michelson et al., 2003).

In einer weiteren Studie wurde ebenfalls die Effizienz von Atomoxetin sowie zusätzlich die Wirkung auf die Lebensqualität und die funktionellen Leistungen untersucht. In der 12-wöchigen, randomisierten, doppelblinden, placebokontrollierten Studie (n=445) war der primäre Ergebnisparameter wiederum die CAARS-Inv:SV. Es ließ sich hiermit eine signifikante Verbesserung der ADHS Symptomatik unter Atomoxetin im Vergleich zu Placebo abbilden. Ebenfalls verbesserte sich signifikant die Lebensqualität (Adult ADHD Quality of Life-29) und die funktionellen Leistungen (Behavior Rating Inventory of Executive Function-Adult Version Self-Report) im Vergleich zu Placebo. Signifikant häufiger traten unter Atomoxetin folgende Nebenwirkungen auf: Übelkeit, Appetitminderung, Insomnie, trockener Mund, Irritabilität, Schwindel und Dyspesie. Signifikant mehr Patienten hatten unter Atomoxetin einen Gewichtsverlust von 3,5 % oder mehr. Unter Atomoxetin kam es zu einer signifikanten häufigeren Erhöhung des Blutdrucks um 5 mm Hg oder die Zahl der Probanden, die über der 95. Perzentile lagen, war signifikant höher (Durell et al., 2013).

Eine Absetzstudie, um die Wirksamkeit von Atomoxetin bei Erwachsenen mit ADHS zu überprüfen, wurde in einer großen Studie (n=2017, 18-50 Jahre) mit doppelblinden, placebokontrollierten randomisiert Studiendesign untersucht. Zunächst wurden die Patienten über 12 Wochen auf Atomoxetin (40-100 mg/Tag) eingestellt. Die Responder wurden auf eine Dosis von 80-100 mg/Tag für weitere 12 Wochen doppelblind eingestellt. Diese Responder wurden wiederum zu Atomoxetin (n=266) oder Placebo (n=258) für 25-wöchige Absetzphase randomisiert. Der primäre Wirkparameter war die Prozentzahl der Patienten, die während der Absetzphase eine Reduktion um ≥ 30% in der CAARS-Inv:SV and einen Wert von ≤3 auf Clinical Global Impression Attention-Deficit/Hyperactivity Disorder Severity (CGI-ADHD-S) Skala aufwiesen. Während der Absetzphase hatte ein signifikant größerer Anteil der Patienten, die mit Atomoxetin behandelt wurden, eine zufriedenstellende Ansprechrate (64.3% vs 50%). Die Zeit bis zu einem Rückfall war signifikant länger mit Atomoxetin als mit Placebo. Atomoxetin hielt die Wirksamkeit signifikant aufrecht (CAARS-Inv:SV: 0.9 vs 4.8) und CGI-ADHD-S (0.0 vs 0.5).

In einer anderen Studie mit 40 Probanden, die einen Stimulanzienmissbrauch betrieben, zeigte sich, dass Atomoxetin signifikant weniger Missbrauchspotential hatte als Methylphenidat oder Phentermin (Amfetamin-Derivat) (Jasinski et al., 2008). Aus neurochemischen, vorklinischen und klinischen Studien wird weiterhin gefolgert, dass Atomoxetin kein Missbrauchspotential hat (Upadhyaya et al., 2013).

Es gibt zwei rote Handbriefe zu Atomoxetin: Einer bezieht sich auf Suizidalität bei Kindern und Jugendlichen: „In einer Meta-Analyse von Daten aus placebokontrollierten klinischen Studien mit Atomoxetin wurde bezüglich suizidaler Verhaltensweisen bei Kindern und Jugendlichen ein statisch signifkanter Unterschied zwischen Atomoxetin (6 von 1.357 [0,44 %]) und Placebo (0 von 851) festgestellt. Alle 6 Ereignisse mit suizidalen Verhaltensweisen (5 Fälle von Suizidgedanken und 1 Fall eines Suizidversuchs) traten bei Kindern im Alter zwischen 7 und 12 Jahren auf. Es traten keine solchen Ereignisse bei älteren Jugendlichen auf, die aber nur etwa 25 % der Studienpopulation ausmachten“ (www.akdae.de/Arzneimittelsicherheit/RHB/Archiv/2005/63_20050929.pdf).
Der andere rote Handbrief bezieht sich auf das Risiko eines Blutdruck- und Herzfrequenzanstiegs (www.akdae.de/Arzneimittelsicherheit/RHB/Archiv/2011/20111207.pdf) (s.a. die News vom 13.03.2012: Atomoxetin – neue Empfehlungen zum Umgang bei Patienten mit erhöhtem Risiko für Blutdruck- und Herzfrequenzanstieg (Kompendium 9A, Box 1 S. 575 und www.kompendium-news.de/?s=atomoxetin).

Klinische Konsequenz

Atomoxetin ist eine effektive Therapiealternative zu Methylphenidat bei Erwachsenen mit ADHS. Jetzt ist auch eine Zulassung für den Behandlungsbeginn bei Erwachsenen mit ADHS erfolgt. Ein erhöhtes Missbrauchspotential besteht nicht. Auf Nebenwirkungen, v.a. auf kardiale, ist zu achten.

Literatur

Durell TM, Adler LA, Williams DW, Deldar A, McGough JJ, Glaser PE, Rubin RL, Pigott TA, Sarkis EH, Fox BK. Atomoxetine treatment of attention-deficit/hyperactivity disorder in young adults with assessment of functional outcomes: a randomized, double-blind, placebo-controlled clinical trial. J Clin Psychopharmacol 2013; 33: 45-54.
Jasinski DR, Faries DE, Moore RJ, Schuh LM, Allen AJ. Abuse liability assessment of atomoxetine in a drug-abusing population. Drug Alcohol Depend 2008; 95:140-6.

Michelson D, Adler L, Spencer T, Reimherr FW, West SA, Allen AJ, Kelsey D, Wernicke J, Dietrich A, Milton D. Atomoxetine in adults with ADHD: two randomized, placebo-controlled studies. Biol Psychiatry 2003; 53: 112-20.

Upadhyaya HP, Desaiah D, Schuh KJ, Bymaster FP, Kallman MJ, Clarke DO, Durell TM, Trzepacz PT, Calligaro DO, Nisenbaum ES, Emmerson PJ, Schuh LM, Bickel WK, Allen AJ. A review of the abuse potential assessment of atomoxetine: a nonstimulant medication for attention-deficit/hyperactivity disorder. Psychopharmacology (Berl) 2013; 226:189-200.

Upadhyaya HP, Ramos-Quiroga JA, Williams D, Tanaka Y, Lane JR, Escobar R, Trzepacz P, Camporeale A, Allen AJ. Maintenance of Response after Open-Label Treatment with Atomoxetine in Adults with Attention-Deficit/Hyperactivity Disorder. 25th European College of Neuropsychopharmacology Congress, 2012, Vienna, October 13–17.

Philip Heiser, Nordhausen/Freiburg

Die Kommentarfunktion ist geschlossen.