Benzodiazepine – zusätzliche Risiken bei der Dauergabe

Neue Ergebnisse aus epidemiologischen Studien erfordern eine Diskussion der Langzeitsicherheit von Benzodiazepinen (1).

Benzodiazepine zählen zu den meist verordneten Psychopharmaka weltweit und werden von der WHO als „essentielle Medikamente“ zur Behandlung von Alkoholentzugssyndromen, zur Anästhesie und Sedierung, Anxiolyse, „Verhaltensauffälligkeiten“, Epilepsie, Insomnie, in der Palliativmedizin und bei Muskelspasmen besonders hervorgehoben (2) . Trotz und wegen des weitverbreiteten Einsatzes gibt es verschiedene Bedenken zum langfristigen Gebrauch bei verschiedenen Patientengruppen aufgrund neuropsychiatrischen, aber zunehmend auch nicht-psychiatrischer Risiken.

Hauptbedenken kommen durch mögliche langfristige kognitive Benzodiazepin -induzierte, aber auch – aggravierte Leistungseinbußen, die bis zu einem erhöhten Risiko für Demenzen reicht (3), zustande, aber auch durch den klinischen Eindruck, der bislang kaum wissenschaftlich fundiert untersucht wurde, dass depressive und psychotische Syndrome bei Patienten mit affektiven Störungen und Schizophrenien bei Dauermedikation eher verschlechtert werden.

So zeigt eine neue populationsbasierte Kohortenstudie (1), dass die Gabe von Benzodiazepinen mit einer erhöhten Wahrscheinlichkeit des Auftretens von Pneumonien und Pneumonie-assoziierter Mortalität einhergeht. Das Risiko ist als Gruppeneffekt um 20-30% erhöht, wobei nicht alle Benzodiazepine aus ungeklärter Ursache gleich stark betroffen sind (Diazepam, Lorazepam und Temazepam, aber nicht Chlordiazepoxid). Es handelte sich um eine sog. „Nested“ Fall-Kontroll-Studie, d.h. dass mehrere Kontrollen jedem Indexpatienten zugeordnet wurden, was bestimmte Limitationen der Aussagekraft mit sich bringt. Unklar ist, ob immunologische Faktoren dazu beigetragen haben oder eher unspezifische Gründe dafür verantwortlich sind (z.B. Sedierung und reduzierte Hustenaktivität). Benzodiazepin-Rezeptoren existieren auch extraneuronal (4) und scheinen zumindest im Tierversuch auch in der Lunge vorhanden zu sein und dort einen Biomarker für Inflammationen darzustellen (5).
Andererseits gibt es auch Hinweise darauf, dass psychische Störungen selbst zu einer höheren Morbidität und Mortalität unter pulmonalen Erkrankungen führen (6), so dass die oben beschriebenen Effekte Epiphänomene darstellen könnten.
Eine weitere epidemiologische Studie weist den Zusammenhang von langfristiger Benzodiazepin-Einnahme und erhöhter Mortalität bei Risikogruppen wie Nieren-und Lungenkranken, aber auch kürzlich stationär behandelten Patienten nach (7). Diese Studie hat methodische Einschränkungen, insbesondere wegen der unklaren Definition der „Langzeit-Einnahme“, so dass die Autoren selbst keine definitiven Schlüsse ziehen.

Klinische Konsequenzen

Die jüngsten Ergebnisse und Daten zu möglichen Risiken bei einer Langzeitmedikation von Benzodiazepinen legen insgesamt nahe, trotz fehlender Nachweise von kausalen Zusammenhängen, langfristige Gaben von Benzodiazepinen insbesondere bei Risikogruppen (ältere Patienten, internistisch Kranke, Demenzkranke) möglichst zu vermeiden. Damit muss auch, bis zum Vorliegen neuer Daten, die positive Einstellung zu einer notwendigen Langzeittherapie im höheren Lebensalter (im Kompendium, 9. Auflage, z.B. 1. Spiegelstrich in Abschn.4.10.1, S. 357) relativiert werden.

Ion-George Anghelescu, Liebenburg
Otto Benkert, Mainz

Literatur
1. Obiora E, Hubbard R, Sanders RD, Myles PR. The impact of benzodiazepines on occurrence of pneumonia and mortality from pneumonia: a nested case-control and survival analysis in a population-based cohort. Thorax 2013; 68:163-70.
2. WHO list of essential drugs (version March 2011): http://www.who.int/medicines/publications/essentialmedicines/en/index.html
3. Billioti de Gage S, Begaud B, Bazin F, Verdoux H, Dartigues JF, Peres K, Kurtz T, Pariente A. Benzodiazepine use and risk of dementia. BMJ 2012; 345:e6231.
4. Hardwick M, Fertikh D, Culty M, Li H, Vidic B, Papadopoulos V. Peripheral-type benzodiazepine receptor (PBR) in human breast cancer: correlation of breast cancer cell aggressive phenotype with PBR expression, nuclear localization, and PBR-mediated cell proliferation and nuclear transport of cholesterol. Cancer Res 1999; 59(4):831-42.
5. Hardwick MJ, Chen MK, Baidoo K, Pomper MG, Guilarte TR. In vivo imaging of peripheral benzodiazepine receptors in mouse lungs: a biomarker of inflammation. Mol Imaging; 2005;4(4):432-38.
6. Seminog OO, Goldacre MJ. Risk of pneumonia and pneumococcal disease in people with severe mental illness: English record linkage studies. Thorax 2013; 68:171-76.
7. Amarasuriya UK, Myles PR, Sanders RD. Long-term benzodiazepine use and mortality: are we doing the right studies? Curr Drug Saf 2012; 7:367-71.

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