Ergebnisse der STAR*D-Studie

STAR*D

Die „Sequenced Treatment Alternatives to Relieve Depression“ oder STAR*D-Studie, eine vom US-National Institute of Mental Health (NIMH) finanzierte, prospektive, multizentrische, kontrollierte Studie zur Wirksamkeit und Verträglichkeit verschiedener, sequentiell angewandter Behandlungsformen bei ambulanten Patienten mit unipolarer Depression, stellt eine hinsichtlich der Stichprobengröße, der Studienpopulation, der Studiendauer und des Studiendesigns gegenwärtig einzigartige Studie zur Wirksamkeit und Verträglichkeit verschiedener Behandlungsoptionen dar, deren Ergebnisse vielfach diskutiert werden  Rush, Am J Psychiatry, 2007, 164:201

Ziel der Studie war es unter annähernd naturalistischen Bedingungen neue Erkenntnisse zur Behandlung unipolarer depressiver Störungen mit möglichst großer Übertragbarkeit auf die klinische Praxis zu gewinnen. Primärer Endpunkt der Studie war eine Remission der depressiven Symptomatik. Das Studiendesign sah insgesamt vier Behandlungsstufen von jeweils 12-14 Wochen Dauer vor, welche bei Nicht-Erreichen einer Remission oder ausreichenden Besserung nacheinander durchlaufen wurden. Innerhalb der jeweiligen Behandlungsstufe erfolgte dabei unter Berücksichtigung der Patientenpräferenz eine Randomisierung zu verschiedenen antidepressiven Therapieverfahren.

ERGEBNISSE

Stufe 1

In der ersten Behandlungsstufe (insgesamt 4041 eingeschlossene Patienten) fanden sich unter einer offenen Monotherapie mit Citalopram eine Remissionsrate von 28% und eine Responserate von 47%. Dabei zeigte sich eine Response und/oder Remission bei 56% bzw. 40,3% derjenigen Patienten, die zum Ende der Behandlungsstufe eine Response bzw. Remission erreicht hatten, erst nach 8-wöchiger Behandlungsdauer.

Stufe 2

Bei 1439 Patienten, die in der Studie verblieben waren und unter einer Monotherapie mit Citalopram aufgrund unzureichender Wirksamkeit oder aufgrund einer Unverträglichkeit von Citalopram keine Remission oder ausreichende Response der depressiven Symptomatik gezeigt hatten, erfolgte in einer zweiten Behandlungsstufe unter Berücksichtigung der Patientenpräferenz eine Randomisierung auf insgesamt 7 verschiedene Behandlungsformen (inklusive kognitiver Verhaltenstherapie). Bei 727 Patienten erfolgte dabei ein Wechsel des Antidepressivums mit randomisierter Zuteilung zu einer offenen Monotherapie mit Bupropion, Sertralin oder Venlafaxin. Es fand sich kein signifikanter Unterschied in der Wirksamkeit oder Verträglichkeit zwischen Bupropion, Sertralin oder Venlafaxin bei einer Remissionsrate von insgesamt etwa 25%. Bei weiteren 565 Patienten erfolgte in der zweiten Behandlungsstufe eine Augmentationsbehandlung von Citalopram mit randomisierter Zuteilung zu einer zusätzlichen Gabe von Bupropion oder Buspiron. Hierbei ergab sich eine Remissionsrate von etwa 30%, ohne dass sich – bei geringfügigen Vorteilen der Kombination mit Bupropion in einigen, die Verträglichkeit betreffenden Sekundärparametern – ein signifikanter Unterschied hinsichtlich der Remissionsrate zwischen den beiden Behandlungen fand. Nur 26% der Studienteilnehmer stimmten der Möglichkeit einer Randomisierung zu einer kognitiven Verhaltenstherapie zu. Der Einsatz kognitiver Verhaltenstherapie zeigte – bei für diesen Vergleich aufgrund der Randomisierung unter Berücksichtigung der Patientenpräferenz kleinen Fallzahlen – allein sowie in Kombination mit Citalopram eine den medikamentösen Switch- und Augmentationsstrategien der zweiten Behandlungsstufe vergleichbare Wirksamkeit.

Stufe 3

In einer dritten Behandlungsstufe erfolgte bei Studienteilnehmern, die in der Studie verblieben waren und die während der ersten beiden Stufen der antidepressiven Behandlung aufgrund von mangelnder Wirksamkeit oder Unverträglichkeit keine ausreichende Besserung der depressiven Symptomatik erreicht hatten, entweder ein Wechsel der Behandlung auf eine Monotherapie mit Nortriptylin bzw. Mirtazapin oder eine Augmentation mit Lithium bzw. Triiodthyronin (T3). Bei 235 Patienten erfolgte randomisiert ein Wechsel der antidepressiven Therapie auf eine offene Monotherapie mit Mirtazapin oder Nortriptylin. Hinsichtlich der Wirksamkeit und der Verträglichkeit fand sich kein signifikanter Unterschied zwischen den beiden Behandlungen. Sowohl ein Wechsel der Behandlung auf eine Monotherapie mit Mirtazapin als auch mit Nortriptylin führte zu einer Remissionsrate von nur 12,3% bzw. 19,8%. Bei 142 Patienten erfolgte randomisiert eine Augmentation mit Lithium oder T3. Hinsichtlich der Wirksamkeit ergab sich auch hier kein statistisch signifikanter Unterschied zwischen beiden Augmentationsstrategien bei einer Remissionsrate von 15,9% bzw. 24,7%. Hinsichtlich der Verträglichkeit zeigten sich unter der Augmentation mit T3 signifikant seltener Nebenwirkungen und weniger Therapieabbrüche aufgrund von Nebenwirkungen, so dass die Autoren hinsichtlich der Einfachheit der Anwendung und der Verträglichkeit einen geringfügigen Vorteil einer Augmentation mit T3 gegenüber einer Lithiumaugmentation nennen.

Stufe 4

In einer vierten Behandlungsstufe erfolgte bei insgesamt 109 Patienten, die nach drei vorangegangenen, medikamentösen Behandlungsversuchen aufgrund einer Therapieresistenz oder einer Unverträglichkeit der Behandlung keine Remission der depressiven Symptomatik gezeigt hatten, eine medikamentöse Behandlung mit Tranylcypromin oder Venlafaxin plus Mirtazapin. Hinsichtlich der Wirksamkeit ergab sich kein statistisch signifikanter Unterschied zwischen beiden Behandlungen bei einer (niedrigen) Remissionsrate von 7-16%, wobei eine geringe Intensität der Behandlung mit Tranylcypromin aufgrund der notwendigen 2-wöchigen wash-out Periode, häufigeren Therapierabbrüchen und damit kurzen Behandlungsdauern und einer niedrigen, erreichten Tranylcypromindosis die Vergleichbarkeit einschränkt. Bei gleichen Ergebnissen hinsichtlich der Häufigkeit, Intensität und allgemeinen Belastung durch Nebenwirkungen zeigten sich unter Tranylcypromin häufiger Studienabbrüche und eine höhere Wahrscheinlichkeit eines Studienabbruchs aufgrund von Nebenwirkungen.

Stufe 1-4 und Follow up

Die Betrachtung der Gesamtergebnisse über alle vier Behandlungsstufen ergab mit Zunahme der durchlaufenen Behandlungsstufen eine Abnahme der Remissionsrate insbesondere nach zwei und drei erfolglosen medikamentösen Behandlungsversuchen (3. und 4. Behandlungsstufe). Eine Untersuchung der Rückfallraten während eines sich einer Remission oder ausreichenden Response anschließenden Beobachtungszeitraums von bis zu 12 Monaten ergab höhere Rückfallraten für diejenigen Patienten einzelner Behandlungsstufen, die sich zu Beginn der Nachbeobachtung nicht in Remission befanden. Auch ergaben sich – unabhängig davon, ob eine Remission bezüglich der depressiven Symptomatik erreicht worden war oder nicht – höhere Rückfallraten mit zunehmender Anzahl durchlaufener Behandlungsstufen.

ZUSAMMENFASSUNG und SCHLUSSFOLGERUNGEN

Die Ergebnisse der STAR*D-Studie weisen darauf hin, dass auch längere Behandlungszeiträume vor einem Wechsel der Behandlungsstrategie gerechtfertigt seien können; auch nach 8-wöchiger Behandlung kann noch eine substantielle Besserung der Symptomatik erhofft werden.

Etwa ¼ der Patienten, bei denen ein erster medikamentöser Therapieversuch mit einem SSRI nicht erfolgreich war, können von einem Wechsel des Antidepressivums profitieren, unabhängig davon, ob ein Wechsel zu einem anderen SSRI oder einem Antidepressivum mit anderem Wirkprofil erfolgt. Sowohl ein Wechsel zu einem Antidepressivum mit gleichem Wirkmechanismus („within-class switch“) als auch ein Wechsel zu einem Antidepressivum mit anderem Wirkmechanismus („out-of-class switch“) erscheint anhand der Ergebnisse berechtigt; eine mangelnde Verträglichkeit oder unzureichende Wirksamkeit eines SSRI muss nicht zwangsläufig eine Unverträglichkeit oder mangelnde Wirksamkeit eines anderen SSRI bedeuten.

Die Ergebnisse zeigen hinsichtlich der Wirksamkeit einer Augmentation mit T3 (3. Behandlungsstufe) ein – im Hinblick auf die im Vergleich zu einer Lithiumaugmentation geringere Datenlage – überraschend gutes Ergebnis. Zu bedenken ist bei der Betrachtung dieses Ergebnisses – neben der für alle Behandlungsstufen geltenden Einschränkung aufgrund einer offenen Behandlung, des Fehlens einer Plazebokontrolle und einer hohen Zahl an Studienabbrüchen – die kleine Stichprobengröße, das Fehlen einer regelhaften Kontrolle des Lithium-Plasmaspiegels und die Verabreichung einer vergleichsweise geringen Lithiumdosis aufgrund von Nebenwirkungen.

Aufgrund des Studiendesigns und methodologischen Gründen (die meisten Studienteilnehmer äußerten bei der Randomisierung klare Präferenzen bezüglich möglicher Behandlungsstrategien, so akzeptierten nur insgesamt 1,5% der Studienteilnehmer in der 2. Behandlungsstufe eine Randomisierung auf alle 7 Behandlungsmöglichkeiten) war ein Vergleich der Wirksamkeit der Behandlungsstrategien „Wechsel“ vs. „Augmentation“ in den einzelnen Behandlungsstufen nicht möglich.

Bei etwa 1/3 der Patienten kann den Ergebnissen zufolge während eines ersten Behandlungsversuchs eine Remission erreicht werden; eine Remission ist mit einer besseren Prognose im Langzeitverlauf assoziiert. Mit zunehmender Anzahl der zum Erreichen einer Remission oder ausreichenden Besserung notwendigen, medikamentösen Therapieversuche sinkt den Ergebnissen nach während eines Behandlungsversuchs die Wahrscheinlichkeit des Erreichens einer akuten Remission und steigt – unabhängig davon, ob letztendlich eine Remission erreicht wird – das Risiko eines Rückfalls, so dass auch nach Erreichen einer Remission eine engmaschige Betreuung erfolgen sollte.

Differentialtherapeutische Hinweise dazu, welche Behandlungsstrategie zu welchem Zeitpunkt der Behandlung einer depressiven Episode erfolgversprechender ist, ergeben sich aus den Studienergebnissen nicht. Ob einzelne Behandlungsoptionen zu einem früheren oder späteren Zeitpunkt der sequentiellen Therapie andere Ergebnisse gezeigt hätten, bleibt offen. Die Identifikation individueller Prädiktoren für ein Ansprechen auf ein bestimmtes antidepressives Therapieverfahren stellt ein weiteres zukünftiges Ziel der STAR*D- Studie dar.

Francesca Regen, Berlin

Ion Anghelescu, Berlin

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