Auch wenn die Adipositas nach ICD-10 und DSM-5 nicht als psychiatrische Erkrankung klassifiziert wird, mehrt sich die wissenschaftliche und klinische Evidenz dafür, dass es sich bei der Adipositas nicht nur um die Folge übermäßiger Nahrungsaufnahme, sondern auch um eine neurobiologische Erkrankung handelt.
Die neueste präklinische Forschung konnte beispielsweise im Tierversuch zeigen, dass das hypothalamische Enzym O-GlcNAc-Transferase in entscheidender Weise zum Sättigungsgefühl und zur Steuerung des Essverhaltens beiträgt. Mäuse, bei denen dieses Enzym ausgeschaltet wurde, begannen in der Folge, ihre Nahrungsaufnahme erheblich zu steigern, und nahmen schnell und übermäßig an Gewicht zu. Dieser Befund ist nicht nur ein wissenschaftlicher Erfolg, sondern er eröffnet mögliche zukünftige Perspektiven für die pharmakologische Behandlung der Adipositas.
Psychiater und Psychotherapeuten haben mittlerweile ihren festen Platz in vielen multidisziplinären Teams zur Behandlung der Adipositas. Weiterhin ist die Adipositas eine häufige Nebenwirkung psychopharmakologischer Therapie.
In der medikamentösen Adipositasbehandlung gab es in den letzten Jahren interessante Entwicklungen, denn in Europa wurden die beiden auf das zentrale Nervensystem wirkenden Arzneimittel (AM) Bupropion/Naltrexon (Mysimba) und Liraglutid (Saxenda) für die Behandlung der Adipositas zugelassen. Liraglutid ist ein ein Glucagon-like Peptide (GLP-1)-Analogon.
Beide AM haben in mehreren randomisierten und kontrollierten klinischen Studien und in der Praxis ihre gewichtsreduzierende Wirkung und ihre gute Verträglichkeit nachgewiesen, wie eine aktuelle Metaanalyse in JAMA zeigt. In diese Metaanalyse gingen u. a. 4 Studien zur Behandlung der Adipositas mit Bupropion/Naltrexon vs. Plazebo und 3 Studien zu Liraglutid vs. Plazebo ein. Bupropion/Naltrexon wird nun neben Liraglutid und Orlistat als AM zur Behandlung der Adipositas in die 11. Auflage des Kompendiums der Psychiatrischen Pharmakotherapie aufgenommen.
Trotz ihrer Zulassung wurden Bupropion/Naltrexon und Liraglutid vom Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) als Lifestyle-Medikamente bewertet, so dass sie in der Indikation Adipositas nicht zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung verordnet werden können.
Der Wirkstoff Liraglutid ist schon mehrere Jahre unter dem Handelsnamen Victoza als Antidiabetikum für Patienten mit Typ-2-Diabetes und einem BMI ≥ 30 zugelassen und vom G-BA positiv bewertet. In dieser Indikation übernehmen die gesetzlichen Krankenversicherungen in Deutschland die Kosten für das AM.
Fazit
Mysimba und Saxenda sind wirksame, gut verträgliche, zugelassene und empfehlenswerte Medikamente in der Adipositasbehandlung auch in der Psychiatrie. Sie können aber aufgrund einer Entscheidung des G-BA nicht zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung verordnet werden.
Literatur
Khera R, Murad MH, Chandar AK, Dulai PS, Wang Z, Prokop LJ, Loomba R, Camilleri M, Singh S. Association of Pharmacological Treatments for Obesity With Weight Loss and Adverse Events: A Systematic Review and Meta-analysis. JAMA 2016; 315: 2424-2434.
Lagerlöf O, Slocomb JE, Hong I, Aponte Y, Blackshaw S, Hart GW, Huganir RL. The nutrient sensor OGT in PVN neurons regulates feeding. Science 2016; 351: 1293-1296.
Hubertus Himmerich, London; [hubertus.himmerich@kcl.ac.uk]
Otto Benkert, Mainz, [otto.benkert@t-online.de]