Benzodiazepine – erhöhtes Risiko für eine Alzheimer-Demenz?

1998 wurde eine longitudinale Fall-Kontroll-Studie mit 668 Teilnehmern, die über 75 Jahre alt waren, publiziert, die einen protektiven Effekt von Benzodiazepinen bezüglich der Entwicklung einer Alzheimer-Demenz nahe legte (1).
Am 11.11.13 wurde in den Kompendium-News darüber berichtet, dass es jedoch neue Hinweise auf langfristige kognitive, Benzodiazepin-induzierte, aber auch – aggravierte Leistungseinbußen, die bis zu einem erhöhten Risiko für Demenzen reichen können, gäbe. Diese Aussage wird jetzt durch eine Arbeit der Gruppe um Billioti de Gage bestätigt und mit zusätzlichen Daten unterfüttert (2). Es zeigte sich anhand von ca. 1800 Patienten mit Alzheimer-Demenz mit einem Alter über 66 Jahren gegenüber ca. 7200 alters- und geschlechts-gematchten Kontrollen ohne Alzheimer-Demenz, dass 50% der Index-Patienten über einen Zeitraum von mindestens 5 Jahren Benzodiazepine eingenommen hatten versus 40% bei den Kontrollen (Odds ratio von 1.51 mit einem Konfidenzintervall von 1.26-1.69).

2012 hatte diese Arbeitsgruppe bereits eine Assoziation von Benzodiazepin-Konsum und neuem Auftreten von Demenzen postuliert (3), was zu einer wissenschaftlichen Diskussion geführt hatte, auch weil der ursächliche Zusammenhang unklar war bzw. Effekt und Wirkung in umgekehrter Richtung möglich waren (4). Es bestand ja die Möglichkeit, dass eine beginnende Demenz zu Symptomen führen konnte, die mit Benzodiazepinen behandelbar gewesen wäre, z. B. Ängste, Persönlichkeitsänderungen mit Aggressivität, Depressionen, Schlafstörungen.
Diese Richtung des Zusammenhanges kann zwar nach wie vor nicht ausgeschlossen werden, es gibt jedoch indirekte, erhärtende Hinweise dafür, dass die Einnahme von Benzodiazepinen ein unabhängiger Risikofaktor für eine Alzheimer-Demenz sein könnte.
Zu diesen zählen in dieser Studie in erster Linie:

- Kumulativ-Dosis und Risiko korrelieren miteinander: 3 Gruppen wurden gebildet: Einnahme unter 3 Monate, 3-6 Monate Einnahme und über 6 Monate Einnahme. Nur in der letzten Gruppe wurde ein signifikantes Ergebnis erzielt; 32.9% hoher Konsum bei den Patienten vs. 21.8% bei den Kontrollen.
- Halbwertszeit und Risiko korrelieren miteinander (Diazepam zeigt z.B. ein höheres Risiko als Temazepam). Zwei Gruppen wurden gebildet: Hohe Halbwertszeit (über 20 Stunden), niedrige Halbwertszeit (unter 20 Stunden). Dabei fand sich in der Gruppe mit der höheren Halbwertszeit ein höheres Alzheimer-Risiko (Odds ratio 1.7, KI 1.46 – 1.98 versus Odds ratio 1.43, KI 1.27 – 1.61).
- Einbezug konfundierender Variablen wie Depression, Angst, Schlafstörungen.
- Auch zeigte eine prospektive Kohortenstudie mit 1134 Männern über 22 Jahre in England ein erhöhtes Alzheimer-Risiko unter Benzodiazepin-Einnahme (7).

Methodenkritik

Nicht trivial – auch bei dieser Studie – ist die Validität der Diagnose. Es gibt nicht nur verschiedene Demenzformen, die nicht immer klinisch eindeutig unterscheidbar sind, sondern auch andere kognitive Störungen, die zu Verwechslungen führen. So fand ein früherer Review-Artikel (5) eine nur inhomogene Ergebnislage zu Benzodiazepinen und dem Risiko für „kognitive Störungen“ ohne genaue Krankheitsbezeichnung. Besteht die Kontrollgruppe aus gerontopsychiatrischen Patienten ohne Benzodiazepin-Medikation, stellt sich die Assoziation von Benzodiazepinen mit kognitiven Störungen ebenfalls nicht eindeutig dar. In einer entsprechenden Untersuchung mit neuropsychologischer Testung fanden sich in der Gruppe der mit Benzodiazepinen Behandelten nicht häufiger kognitive Störungen als in der Gruppe ohne Benzodiazepine (6).

Klinische Konsequenzen
Es wird auch in der 10. Auflage des Kompendiums im Abschn. 4.6. auf diese Risiken hingewiesen und mit dem Hinweis versehen, Benzodiazepine, jetzt unabhängig vom Abhängigkeitsrisiko, bei Risikopatienten (ältere Patienten, internistisch kranke und Demenzpatienten) nicht langfristig zu verordnen. Die insgesamt gute Verträglichkeit der Benzodiazepine wird ihren Langzeit-Risiken insbesondere bei bestimmten Populationen gegenüber gestellt.
Bislang ist nicht geklärt, welcher Zusammenhang auf der Ebene des Wirkmechanismus zwischen Benzodiazepinen und der Alzheimer- oder anderen Demenzformen bestehen könnte.
Die bisherigen Daten legen nahe, dass – sollte eine längerfristige Benzodiazepin-Gabe notwendig sein – möglichst niedrige Dosen eines kurz- bis mittellang wirksamen Präparates gewählt werden sollten.
Ungeklärt ist, ob das Risiko auch bei wenigen Einnahmen pro Monat, die aber über mehrere Jahre fortgesetzt werden, erhöht ist.

Literatur
1. Fastbom J, Forsell Y, Winblad B. Benzodiazepines may have protective effects against Alzheimer disease. Alzheimer Dis Assoc Disord 1998; 12:14-7.
2. Billioti de Gage S, Moride Y, Ducruet T, Kurth T, Verdoux H, Tournier M, Pariente A, Bégaud B. Benzodiazepine use and risk of Alzheimer’s disease: case-control study. BMJ 2014; 349-g5205.
3. Billioti de Gage S, Bégaud B, Bazin F, Verdoux H, Dartigues JF, Pérès K, Kurth T, Pariente A. Benzodiazepine use and risk of dementia: prospective population based study. BMJ 2012; 345-e6231.
4. Barbui C, Gastaldon C, Cipriani A. Benzodiazepines and risk of dementia: true association or reverse causation? Epidemiol Psychiatr Sci 2013; 22:307-8.
5. Verdoux H, Lagnaoui R, Begaud B. Is benzodiazepine use a risk factor for cognitive decline and dementia? A literature review of epidemiological studies. Psychol Med. 2005; 35:307-15.
6. Høiseth G, Tanum L, Tveito M, Kristiansen KM, Kvande K, Lorentzen B, Refsum H, Bramness J. A clinical study oft he cognitive effects of benzodiazepines in psychogeriatric patients. Pharmacopsychiatry 2013; 46:209-13.
7. Gallacher J, Elwood P, Pickering J, Bayer A, Fish M, Ben-Shlomo Y. Benzodiazepine us and risk of dementia: evindence from the Caerphilly prospective study (CaPS). J Epidemiol Community Health 2012; 66:869-73.

Ion-George Anghelescu, Liebenburg
Otto Benkert, Mainz

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