Arzneimittelinteraktionen können zu erwünschten, aber auch zu verminderten und unerwünschten Wirkungen führen. Die Wahrscheinlichkeit von (pharmakokinetischen) Wechselwirkungen steigt vor allem dann, wenn gemeinsame Stoffwechselwege genutzt werden und eine wechselseitige Beeinflussung des Metabolismus stattfindet.
Kontrovers diskutiert wird derzeit eine mögliche Wechselwirkung zwischen Sertralin und Lamotrigin mit einer wahrscheinlich erhöhten Auftretenswahrscheinlichkeit unerwünschter Arzneimittelwirkungen, wobei die Datenlage derzeit noch keine eindeutigen Schlüsse zulässt.
Wir möchten trotzdem an dieser Stelle auf die Möglichkeit einer Interaktion zwischen Sertralin und Lamotrigin hinweisen, weil sie vor allem mit einer erhöhten Inzidenz von unerwünschten Arzneimittelwirkungen im Sinne idiosynkratischer Hautreaktionen einhergehen könnte.
Lamotrigin wird überwiegend durch UDP- Glucuronosyltransferasen, UGT, (vor allem UGT1A4) zu seinen Glucuroniden verstoffwechselt. UGT-Induktoren können daher die Elimination von Lamotrigin beschleunigen, UGT-Inhibitoren hingegen können zu einem Anstieg der Lamotrigin-Konzentrationen oder zum Auftreten potentiell toxischer Stoffwechselprodukte führen und entsprechend zu einer erhöhten Inzidenz unerwünschter Arzneimittelwirkungen führen.
Die gleichzeitige Behandlung mit Arzneistoffen, die die UDP- Glucuronosyltransferasen induzieren (z. B. Ethinylestradiol, Phenytoin, Ritonavir), kann hingegen die Wirkung von Lamotrigin durch eine Verminderung des Wirkstoffspiegels beeinträchtigen.
Valproat, das die Lamotrigin-Glucuronidierung hemmt, vermindert den Lamotrigin-Metabolismus. Die Eliminationshalbwertszeit von 29 Stunden verlängert sich im Mittel auf etwa 70 Stunden.
Offensichtlich besteht eine ähnliche Interaktion zwischen Sertralin und Lamotrigin, die bereits vor vielen Jahren beschrieben wurde (Kaufmann & Gerner, 1998), mit der Gefahr eines Anstiegs der Wirkstoffkonzentration von Lamotrigin bzw. des Anfalls eines Arylepoxids als toxischem Zwischenprodukt, welches das Risiko für idiosynkratische Hautreaktionen erhöhen könnte, da es auch in Keratinozyten entsteht (Maggs et al. 2000, Chen et al. 2010). Eine kürzlich erschienene Arbeit verglich Lamotrigin-Wirkstoffspiegel bei einer Kombinationstherapie mit Sertralin mit gemessenen Lamotrigin-Wirkstoffspiegeln, die im Rahmen einer Monotherapie gemessen wurden (Christensen et al. 2012). Hier zeigte sich jedoch kein eindeutiger Zusammenhang im Sinne erhöhter Lamotrigin-Spiegel, der eine klinische Relevanz der Kombination beider Substanzen unterstreichen würde.
Jedoch ist von herausragender Bedeutung in diesem Zusammenhang, dass sowohl Lamotrigin (relatives Risiko, RR >14) als auch Sertralin (RR = 11) alleine mit einem deutlich erhöhten relativen Risiko für das Auftreten eines Stevens-Johnson Syndrom (SJS) oder einer toxischen epidermalen Nekrolyse (TEN) verbunden sind (Mockenhaupt et al. 2008).
Klinische Konsequenzen
Bei gleichzeitiger Behandlung von Lamotrigin mit einem UGT-Inhibitor wie Sertralin sollte in besonderem Maße an das Auftreten unerwünschter Arzneimittelreaktionen gedacht werden. Auch wenn der pathophysiologische Mechanismus der Wechselwirkung nicht eindeutig geklärt ist, sollte die Kombination nur mit großer Vorsicht angewandt werden. Wahrscheinlich sollte das substanzspezifisch erhöhte relative Risiko für das Auftreten eines Stevens-Johnson-Syndroms oder einer toxischen epidermalen Nekrolyse dazu führen, von vorneherein auf eine Kombination von Lamotrigin und Sertralin zu verzichten.
Literatur
Chen H, Grover S, Yu L, Walker G, Mutlib A (2010) Bioactivation of lamotrigine in vivo in rat and in vitro in human liver microsomes, hepatocytes, and epidermal keratinocytes: characterization of thioether conjugates by liquid chromatography/mass spectrometry and high field nuclear magnetic resonance spectroscopy. Chem Res Toxicol. Jan;23(1):159-70.
Christensen J, Sandgaard AP, Sidenius P, Linnet K, Licht RW (2012) Lack of interaction between sertraline and lamotrigine in psychiatric patients: a retrospective study. Pharmacopsychiatry. May;45(3):119-21
Kaufman KR, Gerner R (1998) Lamotrigine toxicity secondary to sertraline. Seizure. Apr;7(2):163-5.
Maggs JL, Naisbitt DJ, Tettey JN, Pirmohamed M, Park BK (2000) Metabolism of lamotrigine to a reactive arene oxide intermediate. Chem Res Toxicol. Nov;13(11):1075-81.
Mockenhaupt M, Viboud C, Dunant A, Naldi L, Halevy S, Bouwes Bavinck JN, Sidoroff A, Schneck J, Roujeau JC, Flahault A (2008) Stevens-Johnson syndrome and toxic epidermal necrolysis: assessment of medication risks with emphasis on recently marketed drugs. The EuroSCAR-study. J Invest Dermatol. Jan;128(1):35-44.
Michael Paulzen, Aachen
Christoph Hiemke, Mainz