Lithium – Review und Metaanalyse zur Toxizität

Lithium gilt als der am besten geprüfte und seit vielen Jahrzehnten klinisch bewährte Stimmungsstabilisierer und fungiert als die klassische Referenzsubstanz zur Behandlung bipolar affektiver Erkrankungen. Mit der Entwicklung und Markteinführung weiterer Arzneimittel zur Behandlung bipolarer affektiver Störungen (Valproinsäure, Lamotrigin, Carbamazepin), vor allem aber durch die Indikationserweiterung moderner Antipsychotika, wurde die Bedeutung von Lithium zurückgedrängt.

Aufgrund der in letzter Zeit jedoch wieder zunehmenden Bedeutung von Lithium beschäftigt sich eine aktuelle Arbeit von McKnight et al. (Lancet. 2012 Feb 25;379(9817):721-8) insbesondere mit einer Übersicht der unerwünschten Wirkungen von Lithium und stellt diese zusammen mit entsprechenden Diagnostik- und Behandlungsempfehlungen übersichtlich dar.
In einem systematischen Review von RCT und Anwendungsbeobachtungen, Kohortenstudien und Fall-Kontrollstudien sowie Einzelfallberichten untersuchten die Autoren die Lithiumtoxizität bezüglich der Organe Nieren, Schilddrüse, Nebenschilddrüsen. Daneben wurde der Einfluss von Lithium auf Gewichts-, Haut- und Haarveränderungen sowie bezüglich möglicher teratogener Auswirkungen anhand der Studienlage systematisch erfasst.
Insgesamt wurden 385 Studien in die Analyse eingeschlossen. Hierbei zeigte sich ein Rückgang der glomerulären Filtration unter Lithiumtherapie um durchschnittlich 6,22 ml/min (95 % CI -14,65 bis 2,20; p = 0,148). Lithium zeigt insgesamt ein leichtgradig erhöhtes Risiko für ein Nierenversagen, insgesamt blieb dieses Risiko aber relativ klein (18 von 3369 eingeschlossenen Patienten, 0,5 % erhielten eine Nierenersatztherapie). Eine Unterfunktion der Schilddrüse (Hypothyreoidismus) trat unter Lithiumtherapie mit einer Odds Ratio [OR] von 5,78 (95 % CI 2,0 bis 16,67, p = 0,001) deutlich häufiger auf. Ebenfalls häufiger beobachtet wurde ein Anstieg der Calcium-Blut-Konzentration (+ 0,09 mmol/l, 95 % CI 0,02 bis 0,17, p = 0,009) und des Parathormons (+ 7,32 pg/ml, CI 3,42 bis 11,23, p < 0,0001).

Lithium führte zu einer stärkeren Gewichtszunahme als Placebo (OR 1,89, CI 1,27 bis 2,82, p = 0,002), nicht aber im Vergleich mit Olanzapin (OR 0,32, CI 0,21 bis 0,49, p < 0,0001).

Ein erhöhtes Risiko für kongenitale Malformationen konnte ebenso wenig beobachtet werden wie für Haarveränderungen oder Lithium-assoziierte Hauterveränderungen.

Die Autoren kommen zu dem Schluss, dass eine Behandlung mit Lithium häufig zu einer Verminderung der renalen Urin-Konzentrationsfähigkeit, zu einer Hypothyreose und einem Hypoparathyreoidismus ebenso wie zu einer Gewichtszunahme führen kann. Das Risiko für ein lithium-assoziiertes Nierenversagen hingegen sei relativ gering (0,5 % im Vergleich zu 0,2 % der Normalbevölkerung).

Das Risiko für kongenitale Malformationen bleibe unklar und das Risiko eines Absetzens während einer Schwangerschaft müsse gut hinsichtlich aller möglicher Vor- und Nachteile für Mutter und ungeborenes Kind abgewogen werden.

Die häufige Beeinflussung des Calciumhaushaltes erfordere eine regelmäßige Kontrolle der Calciumkonzentration im Blut.

Malhi & Berk kommentieren in der gleichen Ausgabe von The Lancet die Ergebnisse von McKnight et al. unter dem Titel „Is the safety of lithium no longer in the balance?“ (Lancet. 2012 Feb 25;379(9817):690-2.).

Sie weisen darauf hin, dass ein methodologischer Vergleich der Studien, die innerhalb eines Zeitraums von annähernd 60 Jahren gemacht wurden, schwierig sei. Zudem sei die Behandlungsdauer bis zum Auftreten unerwünschter Ereignisse nicht ausreichend berücksichtigt. Dennoch schafften es McKnight et al., die wesentlichen Betrachtungsbereiche auf Nieren, Schilddrüse, Nebenschilddrüsen und den Einfluss von Lithium auf Gewichts-, Haut- und Haarveränderungen sowie bezüglich möglicher teratogener Auswirkungen zu konzentrieren. Hierdurch gelänge es den Autoren, dem klinischen Anwender sinnvolle Guidelines an die Hand zu geben und den Fokus auf das Monitoren des Plasmaspiegels und möglicher unerwünschter Wirkungen zu richten.

McKnight et al. empfehlen in ihrer Übersicht die nachstehenden Routineuntersuchungen und -empfehlungen im Zusammenhang mit einer Lithiumtherapie:

 Vor dem Start einer Lithiumtherapie

 Ausführliche Sicherungsaufklärung bezüglich der bekannten unerwünschten Wirkungen einer Lithiumtherapie

 Ergänzend zu bisherigen Routineuntersuchungen sollte eine Bestimmung der Calciumkonzentration im Blut erfolgen

 Die Unklarheit bezüglich des Risikos kongenitaler Malformationen im Zusammenhang mit einer Lithiumtherapie sollte Frauen im gebärfähigen Alter erläutert werden

 Währen einer bestehenden Lithiumtherapie

 Kontrolle von Nierenfunktion, Nebenschilddrüsen und Schilddrüse (mind. GFR, TSH, Calcium) sollte mindestens alle zwölf Monate erfolgen. Bei auffälligen Befunden sollte die Kontrolle ebenso häufiger erfolgen wie im Falle familiär vorbekannter endokriner Erkrankungen.

 Wiederholung der Blutuntersuchungen in jedem Fall bei Veränderung des affektiven Zustands (z.B. bei Auftreten einer Manie).

 Routinemäßige Dokumentation unerwünschter Wirkungen.

 Frauen mit Kinderwunsch oder Schwangere sollten über das unklare teratogene Risiko von Lithium informiert werden. Vor der möglichen Beendigung einer bestehenden Lithiumtherapie sollte das potentielle Risiko einer Fruchtschädigung sehr kritisch gegenüber einem möglichen Schaden für das ungeborene Kind durch die Beendigung einer Lithiumtherapie abgewogen werden.

Klinische Konsequenzen
Diese großangelegte Metaanalyse zeigt, dass das Nebenwirkungsrisiko unter einer Lithium-Therapie kalkulierbar bleibt und Lithium eine wichtige Alternative zu den anderen Stimmungsstabilisierern und atypischen Antipsychotika ist. Die Autoren legen besonderen Wert auf regelmäßige Routineuntersuchungen, um unerwünschte Wirkungen frühzeitig zu erkennen und mit deren Hilfe Lithium weiterhin seinen hohen und mitunter wieder zunehmend hohen Stellenwert in der psychiatrischen Psychopharmakotherapie verteidigt bzw. ausbaut. Die vorgeschlagenen Kontrolluntersuchungen und Vorsichtsmaßnahmen entsprechen grundsätzlich den Empfehlungen, die auch im Kompendium der Psychiatrischen Pharmakotherapie in der 9. Auflage gemacht werden.

Michael Paulzen, Aachen
Gerhard Gründer, Aachen
Otto Benkert, Mainz

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