Die Behandlung depressiver Symptome bei Patienten im höheren Lebensalter und bei Demenz ist von großer Bedeutung. Die Folgen einer unbehandelten depressiven Störung im Alter sind eine reduzierte Lebensqualität, medikamentöse Non-Compliance, erhöhte Morbidität, Mortalität, verlängerte Krankenhausaufenthalte und ein erhöhtes Suizidrisiko, insbesondere bei Männern.
Depression bei Demenz
Die Wirksamkeit und Verträglichkeit einer medikamentösen antidepressiven Behandlung bei Patienten mit Demenz wird zunehmend in Frage gestellt. So fand sich in der bislang größten RCT keine Wirksamkeit von Sertralin und Mirtazapin im Vergleich zu Plazebo auf depressive Symptome bei Demenzpatienten (Banerjee et al., 2011). Eine Metaanalyse konnte bei allerdings großer Variabilität der Methoden und des Designs der in die Analyse eingehenden Studien keine gesicherte Wirksamkeit von Antidepressiva für die Depression bei Demenz aufzeigen (Nelson et al., 2011). Auch wurde eine medikamentöse Behandlung mit SSRI bei Demenzpatienten mit einem dosisabhängig erhöhten Risiko für Stürze in Verbindung gebracht (Sterke et al., 2012).
In der Studie von Banerjee et al. (2011) zeigte sich sowohl unter Sertralin bzw. Mirtazapin als auch unter Plazebo eine deutliche Besserung der depressiven Symptomatik; hinsichtlich der Nebenwirkungen fand sich unter den beiden Antidepressiva eine signifikant erhöhte Nebenwirkungsrate im Vergleich zu Plazebo. Die Autoren leiten aus ihren Studienergebnissen die Empfehlung ab, bei Demenzpatienten mit depressiven Symptomen zu Beginn der Behandlung möglichst zunächst auf psychosoziale Interventionen zurückzugreifen (Banerjee et al., 2011). Sollte nach einem 3-monatigen Behandlungszeitraum keine Besserung der depressiven Symptomatik eingetreten sein, sollten nach Ansicht der Autoren auch eine spezifische medikamentöse Behandlung mit Antidepressiva erwogen werden. Bezüglich der Verträglichkeit einer medikamentösen antidepressiven Behandlung bei Demenzpatienten ergab sich in der Metaanalyse von Nelson et al. (2011) bei fehlendem Nachweis eines klaren Wirksamkeitsvorteils von Antidepressiva im Vergleich zu Plazebo und insgesamt sehr guter Verträglichkeit kein signifikanter Unterschied in der Nebenwirkungsrate. Nelson et al. (2011) interpretieren die Ergebnisse ihrer Metaanalyse dahingehend, dass Antidepressiva bei Demenzpatienten möglicherweise moderate Effekte zeigen, die anhand der Datenlage mit kleinen Patientengruppen und vor dem Hintergrund einer großen Variabilität der Methoden und des Designs der vorliegenden RCT schwierig darzustellen sind. In diese Richtung weisen auch Ergebnisse einer weiteren RCT, die vor dem Hintergrund der fraglichen Wirksamkeit von Antidepressiva bei Demenzpatienten die Effekte des Absetzens von Antidepressiva bei Demenzpatienten ohne dokumentierte depressive Störung zu Studienbeginn oder in der Vorgeschichte untersuchte (Bergh et al., 2012). Hier fand sich 25 Wochen nach Absetzen des Antidepressivums (Escitalopram, Citalopram, Sertralin oder Paroxetin) eine signifikante Zunahme depressiver Symptome.
Depression im höheren Lebensalter
In der Behandlung depressiver Störungen im höheren Lebensalter zeigte sich für Patienten > 55 Jahre eine reduzierte Responserate sowie für Patienten > 65 Jahre eine reduzierte Wirksamkeit mit zum Teil fehlender Abgrenzbarkeit von Antidepressiva gegenüber Plazebo (Tedeschini et al., 2011; Gibbons et al., 2012). So fand sich in einer Metaanalyse für ältere Patienten ein im Vergleich zu Kindern und Jugendlichen sowie Erwachsenen geringerer Therapieeffekt einer Behandlung mit Fluoxetin mit einer NNT von 17 für eine Response und einer NNT von 39 für eine Remission (Gibbons et al., 2012). Eine weitere Metaanalyse zeigte für Patienten > 55 Jahren mit einer NNT von 6,7 für eine Response und einer NNT von 14,4 für eine Remission ein positiveres Ergebnis (Kok et al., 2012). Zur Behandlung depressiver Episoden bei älteren Patienten (> 55 Jahre), die auf einen ersten Therapieversuch nicht angesprochen haben, liegen nur wenig Daten vor (Cooper et al., 2011).
Klinische Konsequenzen
• In der Behandlung depressiver Syndrome bei Patienten mit Demenz sollten Antidepressiva insbesondere bei Patienten mit ausgeprägten depressiven Syndromen, bei Patienten, die die Kriterien für eine depressive Episode erfüllen, bei rezidivierend depressiven Episoden, bei Suizidalität sowie bei anamnestisch positivem Ansprechen auf eine medikamentöse antidepressive Behandlung auch frühzeitig eingesetzt werden. Die Behandlung depressiver Störungen bei Demenz entspricht dabei prinzipiell der antidepressiven Behandlung bei Patienten in höherem Lebensalter (Kap. ▶ 1.10.4 des Kompendiums). Zum Einsatz von Acetylcholinesteraseinhibitoren (AChE-I) bei depressiven Beschwerden bei Demenz siehe Kap. ▶ 6.4.7.
• Die guten Ergebnisse unter Plazebo weisen auf eine gute Wirksamkeit auch (unspezifischer) supportiver Elemente hin. Verhaltenstherapeutische Maßnahmen wie eine Erhöhung angenehmer Tätigkeiten oder körperliche Übungen sowie Unterstützung und Edukationsprogramme für Pflegende können sich positiv auf depressive Symptome bei Patienten mit Demenz auswirken. Vor dem Hintergrund einer möglicherweise nur begrenzten Wirksamkeit medikamentöser Therapieverfahren und den damit verbundenen Nebenwirkungsrisiken (wie ein unter Antidepressiva möglicherweise erhöhtes Risiko einer verminderten Knochendichte, von Frakturen und von Stürzen; Kap. 1.6.9. des Kompendiums) kommt nichtmedikamentösen, psychosozialen Maßnahmen ein besonderer Stellenwert zu. Diese sollten möglichst immer begleitend zu einer medikamentösen antidepressiven Behandlung zum Einsatz kommen. Bei leichten oder wenigen depressiven Symptomen kann zunächst auch ein alleiniger Einsatz psychosozialer Maßnahmen erwogen werden, der bei fehlender Besserung durch eine zusätzliche medikamentöse Behandlung mit Antidepressiva ergänzt werden sollte.
• Die Entscheidung für eine medikamentöse Behandlung bei depressiven Störungen im höheren Lebensalter sollte entsprechend der Behandlungsrichtlinien für jüngere Patienten erfolgen (Kapitel 1.3 und 1.5 des Kompendiums). Zu bedenken ist dabei eine im Vergleich zu jüngeren Patienten möglicherweise verlängerte Wirklatenz und reduzierte Wirksamkeit von Antidepressiva, die jedoch nicht dazu führen sollte, auf eine medikamentöse antidepressive Behandlung zu verzichten.
• Besonderheiten einer medikamentösen antidepressiven Behandlung im höheren Lebensalter wie häufig vorliegende komorbide körperliche Erkrankungen, eine erhöhte Wahrscheinlichkeit einer Polypharmazie und altersbedingte Veränderungen der Pharmakokinetik und Pharmakodynamik sollten beachtet werden (Kap. 1.10.4 sowie Kap. 14 des Kompendiums). Im Hinblick auf eine im höheren Lebensalter bestehende erhöhte Suszeptibilität für Nebenwirkungen sowie auf ein unter Antidepressiva (insbesondere unter SSRI) möglicherweise erhöhtes Risiko einer verminderten Knochendichte und von Frakturen (u. a. auch in Zusammenhang mit Stürzen; Kap. 1.6.9), sollte die Entscheidung für oder gegen eine antidepressive Behandlung bei Patienten im höheren Lebensalter besonders sorgfältig getroffen werden.
Literatur:
Banerjee S, Hellier J, Dewey M, Romeo R, Ballard C, Baldwin R, Bentham P, Fox C, Holmes C, Katona C, Knapp M, Lawton C, Lindesay J, Livingston G, McCrae N, Moniz-Cook E, Murray J, Nurock S, Orrell M, O’Brien J, Poppe M, Thomas A, Walwyn R, Wilson K, Burns A. Sertraline or mirtazapine for depression in dementia (HTA-SADD): a randomised, multicentre, double-blind, placebo-controlled trial. Lancet. 2011 30; 378(9789): 403-11.
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Cooper C, Katona C, Lyketsos K, Blazer D, Brodaty H, Rabins P, de Mendonça Lima CA, Livingston G. A systematic review of treatments for refractory depression in older people. Am J Psychiatry. 2011; 68(7):681-8.
Gibbons RD, Hur K, Brown CH, Davis JM, Mann JJ. Benefits From Antidepressants: Synthesis of 6-Week Patient-Level Outcomes From Double-blind Placebo-Controlled Randomized Trials of Fluoxetine and Venlafaxine. Arch Gen Psychiatry. 2012 Mar 5.
Kok RM, Nolen WA, Heeren TJ. Efficacy of treatment in older depressed patients: A systematic review and meta-analysis of double-blind randomized controlled trials with antidepressants. J Affect Disord. 2012 Apr 3.
Nelson JC, Devanand DP. A systematic review and meta-analysis of placebo-controlled antidepressant studies in people with depression and dementia. J Am Geriatr Soc. 2011;59(4):577-85.
Sterke CS, Ziere G, van Beeck EF, Looman CW, van der Cammen TJ. Dose-response relationship between selective serotonin re-uptake inhibitors and injurious falls: a study in nursing home residents with dementia. Br J Clin Pharmacol. 2012; 73(5): 812-20.
Tedeschini E, Levkovitz Y, Iovieno N, Ameral VE, Nelson JC, Papakostas GI. Efficacy of antidepressants for late-life depression: a meta-analysis and meta-regression of placebo-controlled randomized trials. J Clin Psychiatry. 2011;72(12):1660-8.
Francesca Regen, Berlin
Otto Benkert, Mainz