Antidepressiva – Risiken für Schwangerschaft und Stillzeit

Wir möchten den Leser zeitnah über neue Publikationen zu diesem Thema informieren. Zuletzt geschah dies im Februar 2010 (www.kompendium-news.de vom 26.2.2010). Wir nehmen eine Untersuchung zu Bupropion (Figueroa, J Dev Behav Pediatr. 2010 Oct;31(8):641-8) zum Anlass, die Risiken unter Antidepressiva (letzter Stand in der 8. Auflage des Kompendiums vom November 2010) zu aktualisieren.

 

In der aktuellen Arbeit zeigt Figueroa, dass Kinder von Eltern mit einer Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS) sehr viel häufiger an einer ADHS erkranken als Kinder von gesunden Eltern (Odds ratio [OR] = 4.15, p <.001 bei erkrankten Müttern, OR = 3.54, p <.001 bei erkrankten Vätern). Was aber besonders erwähnenswert zu sein scheint, ist die Beobachtung, dass eine Exposition mit Bupropion in der Schwangerschaft grundsätzlich mit einer erhöhten Wahrscheinlichkeit für das Kind verbunden ist, an einer ADHS zu erkranken (OR = 3.63, p =.02), insbesondere bei einer Exposition im zweiten Trimenon, hier zeigte sich ein besonders stark erhöhtes Risiko für eine ADHS unter Bupropionexposition (OR = 14.66, p <.001). Eine Exposition gegenüber einem SSRI war nicht mit einem erhöhten Risiko für eine ADHS verbunden (OR = 0.91, p =.74).

 

Nakhai-Pour et al. (CMAJ. 2010 Jul 13;182(10): 1031-7) untersuchten den Einsatz verschiedener Antidepressiva in Bezug auf die Rate spontaner Aborte. 5,5 Prozent der Frauen, die einen spontanen Abort erlitten, nahmen zu irgendeinem Zeitpunkt während der Schwangerschaft ein Antidepressivum ein, in der Kontrollgruppe kam es nur bei 2,7 % zu einem Spontanabort. Die Kombination unterschiedlicher Substanzklassen zeigte dabei ein deutlich höheres Risiko für einen Spontanabort als die alleinige Gabe eines SSRI. Auf Sunstanzebene zeigten Paroxetin und Venlafaxin bei alleiniger Verordnung die höchsten Raten für Spontanaborte.

 

Eine systematische Übersicht über den Einsatz von Antidepressiva während der Schwangerschaft veröffentlichten auch Udechuku et al. im November 2010 (Aust N Z J Psychiatry. 44(11): 978-96). So weisen die Autoren wiederholt auf die teils widersprüchliche Datenlage in Bezug auf kongenitale Malformationen hin, kommen aber mit Ausnahme von Paroxetin zu der Einschätzung dass anderen SSRI oder TZA kein generelles teratogenes Risiko zugesprochen werden müsste. Neonatale Adaptationsschwierigkeiten scheinen den Ausführungen nach grundsätzlich möglich, ohne hier eine bevorzugte Zuschreibung zu einer Substanzklasse oder einer Einzelsubstanz vornehmen zu können.

 

Hinsichtlich des Einsatzes von Antidepressiva während der Stillzeit erschien kürzlich noch eine Übersichtsarbeit (Davanzo et al. Breastfeed Med. 2010 Oct 19), die SSRI und Nortriptylin grundsätzlich ein geeignetes Risikoprofil während der Stillzeit attestieren, jedoch sollte Fluoxetin nur mit Vorsicht angewendet werden. Die trizyklische Substanz Doxepin sollte keine Verwendung finden. Grundsätzlich sollten die therapeutischen Dosen so niedrig wie möglich gewählt werden und Kombinationsbehandlungen vermieden werden. Ähnliche Empfehlungen sprechen Fontiguerra et al. (Pediatrics. 2009 Oct;124(4): 547-56) aus, die Sertralin, Paroxetin und Fluvoxamin aufgrund geringer Exkretion in die Muttermilch als unproblematisch, Citalopram, Escitalopram und Fluoxetin als problematisch hinsichtlich eines Einsatzes bei stillenden Frauen einschätzen. Jedoch sollte hier sehr kritisch gesehen werden, dass beispielsweise Paroxetin während der Schwangerschaft nicht empfohlen wird und damit nur im Falle einer antidepressiven Behandlung nach Entbindung zum Einsatz kommen sollte.

 

Zuletzt hat mit Bekanntmachung vom 06. Dezember 2010 die Pharmakovigilanz-Arbeitsgruppe (PhVWP) des Ausschusses für Humanarzneimittel (CHMP) der Europäischen Arzneimittelagentur EMA SSRI, Venlafaxin und Mirtazapin hinsichtlich des Risikos für das Auftreten einer primären pulmonalen Hypertonie bei Neugeborenen (PPHN) und Fluoxetin hinsichtlich des Risikos für das Auftreten von Fehlbildungen neu bewertet. Entsprechend wurden die zugehörigen Fachinformationen der Substanzgruppen und Einzelsubstanzen neu überarbeitet (Aktenzeichen: 75.02-3822-V 13892-288547/10). Diese enthalten nun den Hinweis, dass die Anwendung von SSRI in der Schwangerschaft, insbesondere im späten Stadium einer Schwangerschaft, das Risiko für das Auftreten einer primären pulmonalen Hypertonie bei Neugeborenen (PPHN) erhöhen kann. Aufgrund des zugehörigen Wirkmechanismus der Serotonin-Rückaufnahmehemmung bei SNRI wurde auch bei Venlafaxin, ebenso bei Mirtazapin (Anstieg der Serotonin-Konzentrationen) der entsprechende Hinweis in die Fachinformation aufgenommen.

 

Zusätzlich wurde für Fluoxetin ein Hinweis zum Risiko für das Auftreten von kardiovaskulären Fehlbildungen in die Fachinformation aufgenommen.

 

Wir aktualisieren unsere Empfehlungen zum Einsatz von Antidepressiva während Schwangerschaft und Stillzeit wie folgt (Fettdruck):

 

-       Eine Behandlung mit SSRI geht mit einem leicht erhöhten Risiko von bestimmten Fehlbildungen einher; sie sind allerdings sehr selten. Aufgrund methodischer Probleme kann nicht sicher unterschieden werden, ob das möglicherweise bestehende teratogene Risiko auf die psychische Grunderkrankung oder auf die SSRI-Behandlung zurückgeführt werden muss.

-       Risiken bei der Verordnung von SSRI treten nicht nur im 1. Trimenon, sondern auch in der Spätschwangerschaft (PPHN) auf. Für Venlafaxin und Duloxetin muss ein ähnliches Risiko angenommen werden.

-       Die Indikation zur Behandlung mit einem Antidepressivum muss in der Schwangerschaft besonders eng gestellt werden. Die Eltern sind ausführlich über die möglichen Risiken aufzuklären.

-       Bei leichten bis mittelschweren Depressionen sollte von einer medikamentösen Behandlung abgesehen und auf psychotherapeutische Verfahren zurückgegriffen werden.

-       Werden die Risiken der Depression für die Mutter (z. B. Suizidalität, psychotische Symptome) höher als die Risiken für das Kind eingestuft, ist eine Indikation für Antidepressiva gegeben. Es sollte die niedrigst wirksame Dosis verordnet werden.

-       TZA scheinen insgesamt ein höheres teratogenes Potenzial als SSRI zu haben.

-       Beim Einsatz von Antidepressiva während der Schwangerschaft scheint die Rate an Spontanaborten höher zu sein. Auf eine Kombination unterschiedlicher Substanzen sollte aus diesem Grund dringend verzichtet werden.

-       Unter TZA sollte nach Möglichkeit auf Clomipramin verzichtet werden.

-       Da Nortriptylin in den jüngsten epidemiologischen Untersuchungen nur sehr selten verordnet wurde, kann ein uneingeschränkter Vorteil für Nortriptylin nicht mehr ausgesprochen werden.

-     Falls während einer Schwangerschaft ein Antidepressivum neu gegeben werden muss, sollte auf Paroxetin, Fluoxetin  und Sertralin verzichtet werden.

-       Frauen, die eine bestehende Behandlung mit SSRI während der Schwangerschaft beenden, haben ein 3-fach erhöhtes Rückfallrisiko verglichen mit Patientinnen, die die SSRI-Behandlung fortführen.

-       Wird ein SSRI verordnet, sollte in keinem Fall ein zweiter SSRI (oder ein anderes Antidepressivum) während der Schwangerschaft parallel zum primären SSRI gegeben werden. Auch eine zusätzliche Verordnung von Benzodiazepinen ist zu vermeiden.

-       Es scheint ein Zusammenhang zwischen einer intrauterinen Exposition mit Bupropion und dem Auftreten eines Aufmerksamkeitsdefizitsyndroms bei Kindern zu bestehen.

-       Stillen unter Antidepressiva sollte nur unter engmaschiger Kontrolle des Kindes und der niedrigst möglichen therapeutischen Dosis erfolgen. Das Kind sollte hierbei engmaschig auf etwaige unerwünschte Wirkungen kontrolliert werden. Bei Neubeginn einer antidepressiven Pharmakotherapie im Postpartum sollte mit einer als unproblematisch geltende Substanz begonnen werden.

 

Michael Paulzen, Aachen

Gerhard Gründer, Aachen

Otto Benkert, Mainz

 

 

 

 

 

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